verbesserte_metaphysik.html 96 KB

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  5. <title> Metaphysik </title>
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  7. <!-- author:MT, written in 2007/8 -->
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  11. <br/>
  12. <a href="../../index.html">main-page</a>
  13. <a href="../writings.html">writings</a>
  14. <br/>
  15. <br/>
  16. <h1> Anmerkungen zu einer schlechten Metaphysik </h1>
  17. <b>Oder: Positivismus und Rinderwahn </b> <br/>
  18. Can one speak <br/>
  19. of left <br/>
  20. And right <br/>
  21. Under such circumstances? <br/>
  22. <h2>Einleitend </h2>
  23. <p>
  24. Der Verfasser nennt sich im Folgenden der landesüblichen Gewöhnlichkeit wegen Ich. Die unzumutbare Anmaßung darin liegend ist ihm durchaus bewusst.
  25. </p>
  26. <p>
  27. Ärgernisse in der meist frustrierenden Außenwelt haben mich genötigt, der einen und der anderen überlieferten Tradition europäischen Denkens auf die Sprünge zu helfen. Im Vorhinein kann ich mich durchaus dem weitesten Umfeld der so genannten kritischen Theorie zuordnen. Deren bekanntesten Vertreter Adorno, Horkheimer, Fromm und Marcuse sind auch dem breiteren Publikum, zumindest dem Namen nach, geläufig.
  28. Auf die Gefahr hin, etwaige Leser mit allseits bekannten Fakten in den Ohren zu hängen, lasse ich zunächst ein paar Worte über den geistigen Rahmen der kritischen Theorie fallen. Es sollte damit lediglich ein erster, vorauslaufender Anhaltspunkt gegeben sein, innerhalb welcher Gegenden herumzutreiben und lungern nach meinem Geschmack ist.
  29. </p>
  30. <h2>Der kritische Weg wird eröffnet... und die Metaphysik doller denn je </h2>
  31. <p>
  32. Als Stützpfeiler der kritischen Theorie ist zunächst die deutsche Philosophie von 1770 -1830 zu nennen. Kant einerseits und der deutsche Idealismus, Fichte Schelling und Hegel (Gott hab Ihn selig), andererseits. Auch wenn im besonderen Adorno\ Horkheimer die Vergötzung des Geistes zum Weltgeist, zum Ursprung alles Seienden, durch Hegel aufs allerschärfste zu kritisieren nicht müde wurden, ist die Verbundenheit der hegelschen Dialektik gegenüber nur schwer zu übersehen. <br/>
  33. Von beiden zentralen Anliegen der späten bürgerlichen Aufklärung a)Vernunft\ Freiheit und b)Natur( etwa die Naturrechtslehre Rosseaus) lässt sich für die kritische Theorie die Verwirklichung der Vernunft in Freiheit als tonangebend festhalten. (Da höre ich euch schon widersprechen, Ihr Romantiker der alten und der neuen Schulen: die Natur. Die Verherrlichung der Natur durch die Romantiker braucht uns hier nicht zu scheren. Narren sind es, die nicht wissen was sie reden. Aber: ) <br/>
  34. Ich möchte nicht verheimlichen, dass die Unfähigkeit der kritischen Theorie anzugeben, was sie sich unter Vernunft vorstelle, zu enormen Angriffsflächen geführt hat; in den Augen Ihrer Gegner. Gerade am Begriff der Vernunft ließe sich entwickeln, was unter bestimmender Negation in etwa zu verstehen sei. Der genötigte Leser muss sich hier mit dem Hinweis zu Frieden geben, dass an der Unvernunft der gegenwärtigen gesellschaftlich- geschichtlichen Situation im Negativen sich ablesen lässt, was unter Vernunft zu verstehen wäre. Die kritische Theorie zielt nicht auf die positive Darstellung des möglichen Besseren, vielmehr auf die Kritik des bestehenden Schlechten. „Where anything is bad, it must be good, to know the whorst.”
  35. </p>
  36. <p>
  37. Diese Herangehensweise hat nicht nur zu Querelen mit den sonstigen philosophischen Strömungen geführt, auch innerhalb der kritischen Theorie lassen sich wohl eher Adorno und Horkheimer als deren strikte Verfechter bezeichnen. Marcuse und Fromm hatten, wenn auch nur leise, die Hoffnung auf eine Veränderung des Bestehenden, d.i. eine Verbesserung des Bestehenden, in Richtung von Freiheit und Vernunft nicht sausen gelassen. <br/>
  38. Wie wir soeben gesehen haben lässt sich an dem vermeintlich harmlos-arglosen Hinweis, die kritische Theorie habe Verpflichtungen den bürgerlichen Wertvorstellungen von Freiheit und Vernunft gegenüber, einiges über ihr negativ-kritisches Potential ausmachen. (Dass auch der positive Realismus in keinster Weise festzulegen in der Lage ist, was in HerrGottsnamen unter den angeführten Begriffen er denn nu` zu verstehen anempfehle, erlaube ich mir dem Leser einmal nahe zulegen. Mit den Begriffen wird hier umgegangen, als seien sie seit der Bergpredigt geläufig wie die Kochrezepte aus Brigitte.) <br/>
  39. </p>
  40. <p>
  41. In jedem Falle ist eine nähere Beschäftigung mit Kant und dem deutschen Idealismus unumgänglich, möchte man das sich Verständnis der kritischen Theorie nicht im Vorfeld schon verbaut haben.
  42. </p>
  43. <h2>Wenn Gespenster dem Denken verfallen </h2>
  44. <p>
  45. Als den zweiten Stützpfeiler der kritischen Theorie kann ich das Denken von Marx und Engels angeben. Im Folgenden werde ich der Einfachheit wegen vom Marxschen Denken, Marxismus und Ähnlichem sprechen. So ist es auch üblich. <br/>
  46. Nicht unwesentlich für den Inhalt der kritischen Theorie war, wie gesagt, das Versäumnis der Verwirklichung von Freiheit und Vernunft in der spätbürgerlichen Epoche. Besonders im frühen Denken war ebenjene Verwirklichung einzig vorstellbar in der revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse durch das Proletariat. Die Zeitschrift des Instituts für Sozialforschung war denn auch, soweit ich weiß, auf die Sondierung der Bedingungen und Möglichkeiten der Revolution hin angelegt. In den westlichen Ländern ließ sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kein revolutionäres Subjekt mehr ausmachen, in der Sowjetunion verhinderte der Stalinismus eine Identifikation mit der Revolution.<br/>
  47. Die Folge war für die kritische Theorie einerseits eine stark resignative, geradezu defätistische Haltung gegenüber der Möglichkeit einer realen Verbesserung der – zugegebenermaßen- aussichtslosen Lage. Anderseits aber ist die marxsche Theorie in die Zange der Kritik genommen worden, was Ihr, nach meinem Geschmack, gut zu Gesicht schlägt. Innerhalb der marxschen Theorie fällt die etwas blauäugige Übernahme einer gängigen Vorstellung der bürgerlichen Variante der Aufklärung nu` doch in die Augen: Der Verlauf der Geschichte auf ein Ziel hin. Notwendig und unaufhaltsam, zu bremsen nicht von Ochsen und von Eseln. (Die Esel sind in der jüngeren Geschichte nicht nur mehr, sondern scheinbar auch recht kräftig geworden).Sei dem wie ihr es wollt, die kritischen Theoretiker als orthodoxe Marxisten zu bezeichnen ist gedanklich alles andere als redlich.
  48. </p>
  49. Das war es, für heute, liebes Tagebuch, morgen erzähl ich dir was über Nietzsche, Schopenhauer und den Freud, den Sigesmund. Tschüss, schlaf gut.
  50. <br/>
  51. <h2>Der Jammer des Daseins: Not und Langeweile </h2>
  52. <p>
  53. Auch das Denken der beiden aus der vorauseilend gehorsamen Art der deutschen Professorenschaft heraus gefallenen Sprachartisten Schopenhauer und Nietzsche hat tief greifende Spuren in der kritischen Theorie hinterlassen. Dass sich Nietzsche im Laufe seiner Entwicklung vermeintlich von der pessimistischen Schlagkraft der Lehre Schopenhauers abgestoßen hat, möchte ich hier nicht zum Anlass nehmen, die Schwerthiebe zu zählen, welche beider Denken schmiegt oder scheidet. In dem mir hier am Herzen liegenden Zusammenhang ist eine vereinfachende Hervorhebung von Gemeinsamkeiten nötig. Eine Abtrennung der Nietzscheanischen Tänze, Sprünge und Flüge von jenen des verrückenden Professors aus Frankfurt kann und wird an anderen Orten zu Genüge geleistet. Ich habe es bereits ausgeplaudert: ein unerhörter Grundton ist in aller Ohren.
  54. </p>
  55. <p>
  56. „ Wir bekennen es offen und frei:
  57. was nach der Aufhebung des Willens von dieser Welt noch übrig bleibt ist für all jene,
  58. die noch Willen in sich tragen, Nichts.
  59. Aber auch umgekehrt ist für jene Asketen und Heilige,
  60. die den Willen in sich verneint und überwunden haben,
  61. diese für uns so sehr reale Welt,
  62. mit all ihren Sonnen und Milchstraßen,
  63. Nichts.“
  64. ( A: Schopenhauer; „ Die Welt als Wille und Vorstellung“)
  65. </p>
  66. <p>
  67. „ Ich kann mir keinen schöneren Lebenszweck denken als denjenigen, an einem großen und erhabenen Ziel zu Grunde zu gehen.“
  68. ( F. Nietzsche, u. U. „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, Griechentum und Pessimismus“)
  69. </p>
  70. <p>
  71. Die etwas abenteuerliche Wanderschaft Nietzsches in das Land der blühenden Landschaften soll hier nicht zur Debatte stehen. Festhalten aber möchte ich, dass für Schopenhauer wie für den Abtrünnigen Nietzsche die Kunst das Heilmittel gegen den Jammer des Dabeiseins beim Dasein bietet. (Dasein als Dasein, Dasein als Sosein, Dasein als in- der -Welt -sein und was sich sonst noch so in der Lichtung des schwarzen Waldes hat auftun wollen.) Eine besondere Bedeutung innerhalb der Künste kommt hierbei der Musik zu. Lassen wir den dionysischen Unhold Zarathustra zu Wort kommen:
  72. „ Einzig und allein in der Kunst hat das Dasein (sic) des Menschen seine Berechtigung.“
  73. </p>
  74. <p>
  75. Bekannter Weise hat besonders der späte Adorno als Folgeerscheinung seiner Skepsis in Bezug auf die revolutionäre Veränderung der trostlosen Lage seine Interessen zunehmend auf das Gebiet der negativen Ästhetik verlagert.
  76. Um zumindest die gröbsten Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, erhebe ich in schulmeisterlich eintrainierter Gestik den Zeigefinger und töne es in den leeren Raum hinaus: Nicht zur Besänftigung soll euch die Kunst den Reiterbügel halten, oh Brüder, nicht wieder diese Töne. Den Schulmädchen überlasst das romantische Wandern und Wimmern im Land der ungetrübten Schöne.<br/>
  77. Dass Adorno von jeher eine stärkere Neigung zur Kunst denn zur Praxis hin hatte, ist wohl dem werten Leser geläufig. Die Gewichtung hat sich lediglich ein wenig stärker zu der ohnehin bevorzugten Seite des Pendels hin geneigt. Von einem sich Verbeugen, Biegen und Brechen vor den Fakten der Wirklichkeit kann insofern meiner Meinung gemäß ganz und gar nicht die Rede sein. Die gründlich Zivilisierten sollten sich an die eigenen neunundachtzig gallig-grünen und schamhaft-roten Nasen gefasst fühlen.
  78. </p>
  79. <p>
  80. Ohne viel Tamtam und Brimborium werfe ich noch zwei Wörter in das traute Gespräch. Im Zusammenhang mit der deutschen Tradition sind sie nicht ohne Bedeutung sind. Sie näher zu erläutern fehlt mir hier nicht nur die Muße sondern auch das Wissen: Bildung und Individualität (und Tusch). Die Verlegenheit erlaubt mir auf den großen Wilhelm von Humboldt („Theorie der Bildung“) wie auf die „Theorie der Halbbildung“ Adornos zu verweisen. Beide Begriffe werden ebendort hervorragend in ihrer vollen Schlagkraft ausgeführt.<br/>
  81. Dass die Begriffe Bildung und Individualität mit dem Denken Schopenhauers und Nietzsches untrennbar verbunden sind, lässt uns ahnen wie weit die Biedermeier ihre Frechheiten aus der Ferne hergeholt haben mögen. Lassen wir uns davon nicht den Magen verderben.
  82. </p>
  83. <h2>Wo Es war, soll Ich werden </h2>
  84. <p>
  85. Über das Denken von Freud haben im Allgemeinen die wildesten Gerüchte ihren Mantel des Schweigens gelegt. Ich laufe nicht Gefahr mit halb halbgewussten und halb ungewussten Schlagwörtern auf ernstzunehmenden Widerstand seitens der Spiegel-Leserschaft zu stoßen. Das gröbste landläufig verbreitete Missverständnis in Bezug auf die Psychoanalyse im Verstande Freuds erlaube ich mir zunächst aus dem Weg zu räumen. Wie bereits die Überschrift verrät, ist das Anliegen Freuds in keiner Weise eine Befreiung der Sexualität. Und zwar in ganz und gar keiner Weise. Wer solcherlei vermutet, sollte sich ernsthafte Sorgen über seine geistigen Kräfte und die Übermacht seines verkorksten Geschlechtslebens machen. (Ich sach`s ja immer: Spiegel-leiser sind für jeden unsinnigen Hechkmeck zu haben, wenn das Wahnsystem nur Nahrung darin findet) Im Groben kann ich hier Freuds Denken als eine Persönlichkeits- und Kulturtheorie darstellen. Beides –Persönlichkeit und Kultur, Individuum und Gesellschaft - als die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ich fasse mich äußerst kurz: Indem die recht ungezügelten Bedürfnisse des polymorph-perversen Einzelwesen an die frustrierenden Grenzen der Außenwelt stoßen, sieht ebenjenes Einzelwesen sich genötigt als vermittelnde Instanz zwischen sich und der Außenwelt das Ich herauszubilden. Die mehr oder weniger gelungene Vermittlung wird als Sublimierung, als Vergeistigung ursprünglich natürlicher Impulse, bezeichnet. Das Produkt jener Vermittlung heißt Kultur. Die gänzlich misslungene Vermittlung ist, im Verstande Freuds, als irrational zu verstehen. Diese ist festzuhalten als die gänzliche unvermittelte Verdrängung der ursprünglichen Bedürfnisse. Mögliche Formen sind unter anderem Neurose, Projektion, Regression und Identifikation mit dem Aggressor. <br/>
  86. Dass Freud enorme Hoffnungen in das „Wissen-um“ die Irrationalität der verschiedenen Formen der Verdrängung, in die Bewusstmachung der Verdrängung, gesetzt hat, ist wohl nicht nötig eigens zu erwähnen. Ebenjene gut aufklärerische Vorstellung hat sich jedoch als nicht haltbar herausgestellt. An diesem Punkte hat sich etwa die Theorie Wilhelm Reichs gerieben. <br/>
  87. ( Überhaupt sind die Hoffnungen der Aufklärung an das „Wissen-um“ dieses oder jenes im Laufe der jüngeren Geistesgeschichte nicht gerade in ihrem Ansehen gestiegen!)Lassen wir es dabei bewenden. Als Lektüre bezüglich Freuds kann ich seine recht kurze Schrift „ Massenpsychologie und Ich-Analyse“ jedem nur wärmsten ans Herz legen. Die Unklarheiten und Ungenauigkeiten meinerseits werden dort schnell aus dem Weg geräumt werden.
  88. </p>
  89. <p>
  90. In Bezug auf die kritische Theorie möchte ich zweierlei noch festhalten: Erstens ist die Bedeutung Freuds für die kritische Theorie kaum zu überschätzen. Ich bin geneigt zu behaupten, dass ohne die Psychoanalyse die kritische Theorie überhaupt nicht möglich wäre. Gewagt, gewagt. Und nichts gewonnen? Die oben von mir aufgeworfene Frage, was denn nu` bitteschön unter Vernunft zu verstehen sei, erscheint in diesem Licht doch wohl ein wenig anders? <br/>
  91. Zweitens hat sich die kritische Theorie im Besonderen im Versuch die Frage nach dem völlig Unmöglichen zu klären (die Möglichkeit des Nationalsozialismus in einem vermeintlich zivilisierten und kultivierten Land) psychoanalytischer Begriffe bedient: „Erziehung nach Ausschwitze“ wäre hier neben den „Studien zum autoritären Charakter“ zu nennen.
  92. </p>
  93. <h2>2)Zwischen den Tönen: ein Aufschrei des Entsetzen </h2>
  94. "Aufklärung ist totalitär wie nur irgendein System" <br/>
  95. F. Lyotard <br/> <br/>
  96. „Wie sehr Ihr euch gleicht, <br/>
  97. dass werdet Ihr bald sehen, <br/> Ihr leblosen Seelen!“ <br/>
  98. S.Beckett <br/>
  99. <p>
  100. Der Verfasser kann dem gebildeten Leser wohl nicht verhehlen, dass er bisher so wenig gesagt hat, dass es nichts, oder besser: noch weniger als nichts, ist. Ich ziehe mich an dem eigenen Schopf aus dieser Notlage indem ich das Bisherige als lose zusammen gewürfelte Anhaltspunkte ausgebe, an welchen sich der Leser in die luftigeren Höhen der drängenden Fragen unserer Zeit hinauf zu schwingen hiermit höflich aufgefordert wird. Halten wir also zunächst die ruhmvollen Namen der Vorgänger der kritischen Theorie in unserem Gedächtnis fest:
  101. </p>
  102. <ul>
  103. <li>Kant und der deutsche Idealismus( Fichte, Schelling und Hegel)</li>
  104. <li>Schopenhauer und Nietzsche </li>
  105. <li>Marx und Engels </li>
  106. <li>Freud </li>
  107. </ul>
  108. <p>
  109. (Die Bedeutung der Beschäftigung mit Kierkegaard, Husserl und der deutschen und französischen Lebensphilosophie gestehe ich hiermit ein. Ebenso die beißende Kritik an der Fundamentalontologie Heideggers und seiner geistigen Mitläufer hat Spuren hinterlassen).
  110. </p>
  111. <p>
  112. Der geistige Mittelstand weiß sich ja keinen schöneren Zeitvertreib als rumzunölen und zunächst einmal aller Kritik zu widersprechen. Ziel dieser Übung, so will es mir scheinen, ist ein wenig Zeit zu gewinnen, um den ungeübten Geist in Schwung zu bringen. So bietet denn auch der von mir eröffnete Rahmen jedem geübten Spiegel-Leser aus dem Stand heraus die Möglichkeit, die kritische Theorie als anachronistisches Überbleibsel aus den Tagträumen der eigenen Jugend abzutun. Diese Jugend, die achtundsechziger, war greis geworden, bevor sie die Pubertät hatte abschütteln können. Ohne Näheres über die angegebenen Theorien aussagen zu können, wird Ihnen im Handumdrehen der Eintritt in das eigene Bewusstsein verweigert: Es sei alles überholt. Es ist, zumindest für mich, durchaus denkbar, dass hier die Angst sich verdächtig zu machen den Gedanken regiert. Verdächtig der Schwarzseherei, verdächtig der Revolutionshudelei, verdächtig des zu-kurz-gekommen-seins, kurz: Verdächtig des Nicht-Mitmachens.
  113. </p>
  114. <p>
  115. Um dem intellektuellen Gesindel eins auszuwischen verlagere und erweitere ich kurzerhand die Kampfzone. <br/>
  116. </p>
  117. <h3>Die Frage nach dem Sinn von Sein bleibt unerhört </h3>
  118. <p>
  119. Zunächst einmal ist die Schwarzwälder Kirschtorte Heidegegger beim Namen zu rufen. „Was?!“ – so höre ich euch verdaddert fragen. Sind denn das nicht zwei paar Schuhe, die ganz und gar nicht zueinander passen. Ein Herrenschuh für den Salon und ein Pantoffel für Heimat, Heim und Herd sollen hier dieselben Wege gemeinsam gegangen sein? <br/>
  120. Zugegeben: Die Differenzen sind unüberhörbar. Aber in der Frage nach der Bewertung der jüngeren Geschichte, in welcher der technische Fortschritt allseits einseitig-eindimensional beklatscht wird, geht auch die verschrobene Phänomenologie ihre eigenen Wege. Eine Verherrlichung der blossen Faktizität des nun einmal Vorhandenen (des Seienden) wird auch hier der Beifall verweigert. Zumindest zwei der größeren philosophischen Schulen des zwanzigsten Jahrhunderts sind alles andere als positivistisch zu nennen. Der kritische Rationalismus wieder spricht eine andere Sprache. Um sich gemütlich in der Jetztzeit einzurichten ist er jedoch ein wenig zu nüchtern. Über die Hermeneutik muss ich schweigen. Aus Unkenntnis. <br/>
  121. Wer also unbedingt dem Dasein der Jetztzeit seinen Segen nicht verweigern möchte, wer fit for fun im bacchantischen Taumel mitmachen und mitlachen möchte, der sollte auch die heideggersche Frage nach dem „Sinn von Sein“ unerhört lassen: als eine ganz und gar unzeitgemäße Narretei.
  122. </p>
  123. <h3>Französisches Denken nach dem Kriege (ist vor dem Krieg) </h3>
  124. <p>
  125. In Frankreich haben sich nach dem Krieg geistige Entwicklungen vollzogen, welche in unserem Zusammenhang einige Schlagkraft haben dürften. Wie ich in dem oben vorangestellten Zitat bereits andeute, hat sich auch dem französischen Denken das unbedingte Vertrauen in die Fortschrittlichkeit der nachbürgerlichen Epoche nicht erschlossen. Der großen Modephilosophie des Existenzialismus ist durch andere der Rang abgelaufen worden. (Gott sei`s gedankt, so möchte ich hinzufügen). Der letzte Schrei aus Frankreich konnte durch Schlagwörter wie Postmoderne, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Dekonstruktion und ähnliches Gehör in der öffentlichen Wahrnehmung finden. <br>
  126. Als die führenden Namen meiner Interessensphäre kann ich Focault, Deleuze, Derrida, Lyotard nennen. Levinas lasse ich zunächst aus dem Spiel. (Auch innerhalb dieses Rahmens ist eine Kenntnis des deutschen Idealismus, des Marxismus, Nietzsches sowie der Phänomenologie Heideggers von nicht geringer Bedeutung.)
  127. </p>
  128. <p>
  129. Man hat uns den Tod des Menschen und das Ende der großen Erzählungen verkündet. Wie das? Die bürgerliche Philosophie hat das Subjekt (=Ich) als den Souverän über sich selbst aufgefasst: Ursache seiner selbst, mit sich selber identisch, ziel gerichtet, männlich. Diese Hoffnung ist mit dem Zusammenbruch der Metaphysik untergegangen. Alles Menschliche, so lasse ich mich sagen, ist außerhalb. Außerhalb des Bewusstseins und des Einflussbereiches der Einzelwesen: In den Strukturen. Diese sind sprachlicher, wirtschaftlicher, politischer, administrativer und ähnlicher Art. Die Arbeit Focaults zielt auf die detaillierte Darstellung einzelner Bereiche innerhalb des Rahmens dieser Strukturen (Gefängnis, Krankenhaus, Psychiatrie). Deutlich werden hierbei die Veränderungen in Konstellationen, welche im Sinne Focaults nicht als Fortschritt verstanden werden sollten. <br/>
  130. </p>
  131. <p>
  132. Ob der Mensch frei – und vernünftig- ist, wage ich stark zu bezweifeln. Dass er dies nur innerhalb der recht engen Grenzen einer vorgegebenen historisch-gesellschaftlichen Lage wäre, sollte nicht der Rede für nötig erachtet werden. Der maßlos-überhebliche Größenwahn von der Souveränität des Einzelnen ist zu meinem Bedauern ein verbreitetes Lieblingsstück der Meinungen unserer Zeit. So sehr es dem menschlichen Stolz auch schmeicheln mag, es ist wider alle neuere Vernunft. Versuchen wir also nicht aus den Augen zu verlieren, dass das „Ich“ als der Täter seines Tuns untergegangen ist. Ohne Pauken und Trompeten allerdings, sondern sang und klanglos. <br/>
  133. Die Rede vom Ende der großen Erzählungen versucht anderweitig der ungezügelten Großmäuligkeit des europäischen Denkens in die Quere zu kommen. Die großen Erzählungen der Aufklärung wie Idealismus und Marxismus verstehen sich selbst als notwendig und allgemeingültig. Insofern absolut. Bisher hat sich kein noch so stringentes Denken dauerhaft als universell durchsetzungsfähig erwiesen. Hieraus hat der eine oder andere durch sprachliche Wendungen wie Pluralismus, Postmoderne, die unübersichtliche Moderne die Konsequenz gezogen. Als den eigentlichen Urheber einer etwas weniger großtuerischen Denkart muss einer herhalten, dem dieser Rock gar nicht zu passen scheint: Friedrich Nietzsche. Er gilt landläufig als der Fürsprecher des Übermenschen, des Willens zur Macht und ähnlich faulem Zaubers. Den Lesern scheint die Folgenschwere des Nietzscheanischen Perspektivismus gar nicht in den Sinn zu kommen, so heimlich, still und leise hat er uns sein Lieblingsei ins Nest geschummelt. Bei genauem Hinhören lässt sich schon an der sprachlichen Form die bescheiden-vornehme Zurückhaltung des Anspruchs ablesen. Gelegentlich aber hat Nietzsche Klärung in einem Donnerwort gefunden: <br/>
  134. „Wir sollten uns heute jedoch am weitesten von der lächerlichen Meinung entfernt haben, aus der eigenen Ecke heraus zu dekreditieren, dass man nur von hier aus Perspektiven haben dürfe.“
  135. </p>
  136. <p>
  137. Ich habe bisher versucht verschiedene Felder des Denkens anzudeuten innerhalb derer sich Möglichkeiten finden, gegen die landläufigen Vorurteile unserer Zeit Position zu beziehen. Eine ausführliche Darstellung der angeführten Denkungsarten kann in wenigen Wörtern und ohne ausführliche Forschungen selbstredend von mir nicht beansprucht werden.
  138. </p>
  139. <p>
  140. Wem daran gelegen ist mit den eigenen Vorurteilen und Glaubenssätzen aufzuräumen, dem könnte ich empfehlen sich mit den angeführten Dichterfürsten anzufreunden. Ebenso könnte eine Lektüre des neuen Testaments davon Zeugnis geben, wie es um unser heutiges Denken bestellt ist („ Ihr seid nicht kalt, ihr seid nicht heiß, ihr seid nur lau, und ich spucke euch wieder aus“ sagt uns der sonderbare Wanderprediger aus der römischen Provinz.) Es ist also durchaus nicht nötig das Nichteinverständnis mit den modernen Zuständen an der haltlosen Hitzköpfigkeit des jüngeren Deutschland festzumachen. (Ihr wisst wohl wen ich meine: die jungen Wilden links vom Hegel). <br/> <br/>
  141. Um die Felder des Denkens ein wenig besser orten zu können werde ich mich nun in einem geschichtlichen Abriss versuchen. Das eine oder das andere Denken unserer Zeit ist alles andere als beliebiger Zufall. Es ist an der Zeit.
  142. </p>
  143. <h2>3)Die ausgeträumten Geschichten sind erzählt</h2>
  144. <p>
  145. Als tonangebend für das abendländische Denken in all seinen Facetten muss mir das Christentum und der Platonismus zur Verfügung stehen. Ob es möglich wäre sich ganz und gar außerhalb dieses Rahmens zu stellen, wage ich zu bezweifeln. Das einigende Band zwischen Christentum und Platonismus ist die Überzeugung mit der irdischen Wirklichkeit sei nicht die letzte Wahrheit des Wortes gesprochen worden. Für die christliche Lehre besteht die Wahrheit des menschlichen Lebens im ewigen Leben nach dem Tod. Im Platonismus wird der gegenständlichen Wirklichkeit der Anspruch auf Wahrheit abgesprochen. Wahrheit komme nicht dem Wandel des Entstehens und Vergehens zu sondern den ewigen Ideen. Christlicher Glaube, Metaphysik und Grammatik sind im weiteren Verlauf des europäischen Denkens aufs allerengste miteinander verknüpft.
  146. Mit dem Beginn der Neuzeit durch die Entdeckung Amerikas 1492, Renaissance und Reformation entstanden die großen rationalen Systeme von Descartes, Leibniz und Spinoza. Ihr Versuch, die Existenz Gottes rational zu beweisen war ein Schuss, der im Laufe der fortschreitenden Entwicklung der Aufklärung nach hinten losging. <br/>
  147. Wie ich bereits gesagt habe waren die Lieblingskinder der bürgerlichen Aufklärung die Freiheit, die Vernunft und die Natur. Politisch hat sie sich konsequenterweise in der französischen Revolution und spaßeshalber in den napoleonischen Kriegen manifestiert. Der Absolutismus hatte abzudanken. Die alten Mächte konnten sich nach dem Ende der napoleonischen Ära in Wien ein wenig frisch machen, zu guter letzt war ihre Zeit jedoch abgelaufen. (Das der hierfür nötige erste Krieg einige Menschen um ihr Leben gebracht hat, ist wohl weniger schön). Der Lieblingszeitvertreib der Aufklärer des achtzehnten Jahrhunderts bestand aber nicht, wie man glauben könnte, im Forschen und Entdecken, wo ja einiges geleistet wurde, sondern vielmehr im beständigen Moralisieren und Dozieren. Vernunft, Moral und Nützlichkeit sind so eng im bürgerlichen Bewusstsein verbunden, dass es schwer fällt sie voneinander zu scheiden. Muss auch gar nicht sein: Sie schneiden sich im Begriff der Arbeit, und daran hatte der Bürger selbstredend ein sehr unrühmliches Interesse.
  148. Wie bereits oben versucht haben aufzuzeigen besteht kein Grund das Denken einzustellen, sobald die Worte Vernunft und Freiheit fallen. Zum Teil haben sich hinter ihnen sehr unschöne Bedürfnisse in die Büsche geschlagen. <br/>
  149. Das die Aufklärung ein zweischneidiges Schwert ist, war auch dem achtzehnten Jahrhundert nicht verborgen geblieben. Rousseau und Kant haben philosophisch die Geister gerufen, die wir nicht mehr haben loswerden können. Sturm und Drang, Klassik und Romantik liefen regelrecht Sturm gegen die Zielvorstellungen der frühen Aufklärung. <br/>
  150. Für den deutschen Sprachraum ist die Bedeutung Kants kaum hoch genug anzuschlagen. Die Kritik der reinen Vernunft war der tödliche Hieb für die in die Jahre gekommene Metaphysik. Freiheit, Gott und die Unsterblichkeit der Seele, so Kant, lassen sich, da außerhalb der Erfahrungswelt anzusiedeln, nie und nimmer beweisen. Ebenso wenig, so Kant, ließe sich ihre Existenz widerlegen, die Annahme ihrer Existenz als regulative Ideen sei, so gesteht Kant ein, also durchaus sinnvoll. Aber beweisen lässt sich auf diesem Felde nu` mal nichts. (Im Zentrum des kantischen Denkens steht übrigens seine Ethik, was meine These vom Moralistentum der Aufklärung ein wenig untermauern könnte) <br/>
  151. Das war nu`doch ein wenig viel des Guten. Die Sonntagsprediger wollten sich die Freiheit, die Seele und den lieben Gott nicht so mir nichts dir nichts aus der Tasche ziehen lassen. Philosophiegeschichte ist die Aufeinanderfolge von Schlaumeiereien, und die neuerlichen Schlaumeier ließen nicht auf sich warten. Fichte, Schelling und Hegel (Gott hab ihn selig) legten jetzt, nachdem Kant die Metaphysik in ihre Grenzen verwiesen hatte, erst richtig los.
  152. An Gedankenakrobatik über das Absolute haben wir heute den Spaß verloren, von daher erspare ich uns und vorrangig mir hier nähere Erläuterungen. <br/>
  153. Die Metaphysik ist mit dem Tode Hegels (etwa 1830) zu guter letzt doch noch in der Versenkung verschwunden. (Endgültig die Nase voll hatte das Bürgertum den Weltgeist nach der gescheiterten 1848 Revolution. Auf den Weltgeist war offensichtlich im geschichtlichen Verlauf kein Verlass. Schopenhauers Tag brach, entsprechend der nieder gedrückten Stimmung, an.)
  154. </p>
  155. <p>
  156. Ich nehme im folgendem Bezug auf die Schrift „ Philosophie in Deutschland von 1830 -1933“ von H. Schnädelbach. Dieser treibt sich im geistigen Umfeld von J. Habermas herum. Die Sorge sich auf verfassungsmäßig ungesichertes Territorium zu bewegen sei von daher dem gebildeten Mittelstand genommen. <br/>
  157. Zu empfehlen ist die angegebene Schrift jedem, der einen Blick in das Denken unserer Zeit werfen möchte.
  158. Die leitenden Vorstellungen für das neunzehnte Jahrhundert fasse Ich zunächst als „Gesellschaft und Geschichte“ zusammen. Hieran lässt sich die Relativierung der Wahrheit von einem ewigen und weltweit gültigen Gut zu einem doch sehr wankelmütigem Genossen ablesen. <br/>
  159. Mit der Metaphysik war damit endgültig Schluss (Heidegger, ja ich weiß, aber lassen wir das). Furore gemacht haben in Bezug auf die Erneuerung des Denkens Schopenhauer und Nietzsche, Kierkegaard, Marx und Engels sowie Freud. So bekannt ihre Namen sind, so wenig bekannt sind ihre Schriften. Das bedauere ich. Zumindest für meinen Geschmack lässt sich daran nicht vorbeigehen, ohne der eigenen intellektuellen Redlichkeit Schaden zuzufügen. Zumindest zum Teil haben die angegebenen Dichterfürsten auf das Denken des zwanzigsten Jahrhunderts prägend gewirkt. Wie auch immer, nach meiner Meinung sollten ihre Einwürfe nicht schlicht deswegen verworfen werden, weil sie dem werten Publikum nicht auf den erstbesten Blick in den alltäglichen Kram passen. Es lohnt sich durchaus einmal, ganz vorsichtig und zaghaft, den Versuch zu starten, den eigenen Gedankenwust umzukrempeln. <br/>
  160. Wem die Beschäftigung mit dem zugegebenermaßen etwas radikalen Denken der neuerer des Denkens zu auffällig anmutet, der könnte zur Destruktion der überholten Metaphysik auch die akademische Philosophie jener Jahre zu Rate ziehen. Verkürzend gebe ich den Historismus sowie den Neukantianismus (südwestdeutsche und Marburger Schule) hier an. Für mich gibt es dort nicht genug zu lachen, aber jeder nach seiner Facon, wie Fritz immer zu sagen pflegt. <br/>
  161. Für das in Begriffen und Ideen schwelgende Denken hat sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts an den Akademien ein weiterer Rückschlag ergeben: Die zunehmende Emanzipation der so genannten Geisteswissenschaften (Geschichte, Soziologie, Psychologie und Pädagogik). Etwas näher an den Tatsachen ist die Rede von den Wissenschaften vom Menschen. Hier wurde der empirischen Wissenschaftlichkeit mehr Respekt gezollt als den Spekulationen über die Entfaltungen des Weltgeistes. Weber, Simmel und Dilthey lassen sich in ihrer fortwirkenden Bedeutung wohl nicht hoch genug einschätzen.
  162. </p>
  163. <p>
  164. Wie wir sehen wurde im neunzehnten Jahrhundert mehr gedacht, als man gewöhnlicher weise der Gesundheit für zuträglich erachtet. Die Abkehr von den übersinnlichen Fragen hatte jedoch bekannter weise den Siegeszug der naturwissenschaftlichen Forschung zur Folge. Die Materialisierung jener Umkehr – die Industrialisierung – kann für sich ein nicht ganz ungewichtiges Argument auf das Feld der sprachlichen Auseinandersetzungen führen: Sie ist auch für den Herrn Jedermann sichtbar. Das hat nu` doch eine gewisse Überzeugungskraft im Vergleich zu unsterblichen Seelen, Göttern und Weltgeistern. Der Positivismus hat denn auch den Schluss gezogen, dass durch eine gänzliche Verlagerung der Kräfte des Menschen auf irdische Belange die Sache schon gut ausgehen wird. Eine Hoffnung, die uns das zwanzigste Jahrhundert eigentlich ausgetrieben haben sollte. Aber die Büchse der Pandora hat so ihre Tücken. <br/>
  165. Genug? Genug, so sage auch ich. Die wesentlichen Schulen des zwanzigsten Jahrhunderts habe ich weiter oben bereits angeführt: Kritische Theorie, Phänomenologie und kritischer Rationalismus, meinethalben füge ich noch Sprachanalytik und Hermeneutik zähneknirschend hinzu. Die Bücher welche das Denken des letzten Jahrhunderts eröffnet haben waren der „Tractatus philosophicus“ von Wittgenstein, „Sein und Zeit“ von Heidegger und „Geschichte und Klassenbewusstsein“ von Lukacs.
  166. </p>
  167. Damit der Leser sich zurechtfindet liste ich das soeben Gesagte noch kurz und bündig auf:<br/>
  168. 1) Die alte Welt
  169. <ul>
  170. <li>Platonismus und Christentum </li>
  171. </ul>
  172. 2) Die Neuzeit
  173. <ul>
  174. <li> Reformation und Renaissance </li>
  175. <li> Die großen rationalen Systeme: </li>
  176. <li> Leibniz, Descartes und Pascal </li>
  177. </ul>
  178. 3) Das Zeitalter der Aufklärung\
  179. <ul>
  180. <li>Die französische Revolution -Wiener Kongress </li>
  181. <li>Die frühe Aufklärung ( Basedow, Kampe und Salzmann) </li>
  182. <li>Rousseau und Kant
  183. <li>Sturm und Drang, Klassik und Romantik </li>
  184. <li>Deutscher Idealismus ( Fichte Schelling und Hegel) </li>
  185. </ul>
  186. 4) Das Zeitalter der Industrialisierung <br/>
  187. Die Neuerer des Denkens:
  188. <ul>
  189. <li>Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Marx und Engels, Freud </li>
  190. </ul>
  191. Die akademische Philosophie:
  192. <ul>
  193. <li>Historismus und Neukantianismus </li>
  194. <li>Emanzipation der Geisteswissenschaften (Mach, Weber,Simmel, Dilthey und andere) </li>
  195. <li>Lebensphilosophie</li>
  196. </ul>
  197. 4) Das zwanzigste Jahrhundert: <br>
  198. Die Nacht ohne Stunden
  199. <ul>
  200. <li>Kritische Theorie </li>
  201. <li>Phänomenologie </li>
  202. <li>Kritischer Rationalismus</li>
  203. <li>Hermeneutik </li>
  204. <li>Sprachanalytik </li>
  205. </ul>
  206. <p>
  207. Ich denke mit meiner etwas grobschlächtigen Einteilung der Geistesgeschichte lässt sich zwar kein Staat machen, ein Gespräch beim Italiener sollte sich damit jedoch durchaus in Gang halten lassen. Auf die Schrift von Herrn Professor Schnädelbach habe ich mir bereits erlaubt einen Fingerzeig zu geben. Er möge es mir verzeihen. Die „Geschichte der Pädagogik“ von A. Reble war zumindest für mich von großem Nutzen um ein wenig Ordnung in die Abfolge der Denkschulen zu bringen. Von dem ebenfalls gelungenen Überblick „ Projekt Moderne“ zweier niederländischer Autoren sind mir zu meinem Bedauern die Namen ebenjener Autoren entfallen. Vielleicht lassen sie sich vom Leser ausfindig machen, der Mensch möchte schließlich auch in Zeiten steigender Massenarbeitslosigkeit beschäftigt werden. <br/>
  208. Ob wir mit den vagen Andeutungen, die ich mir im Vorbeilaufen aus dem Ärmel geschüttelt habe, ausreichend gegen den Geist unserer Tage gewappnet sind, wage ich zu bezweifeln. Das ist nun doch ein wenig dürftig. Ich bin auf den guten Willen des Publikums angewiesen (Andererseits: wer wäre das nicht). Zu wünsche wäre mir von daher ein Leser, den zumindest bei Gelegenheit einmal Missmut, Unbehagen und Unmut befällt. Nicht über sein eigenes Missgeschick sondern über die knochenschädeligen Verhärtungen der Verhältnisse, unter denen er wacker seinem Ende entgegengeht. Auch über das Geschwätz, welches ihn aus allen Kanälen der propagandistischen Kriegsführung unter Dauerbeschuss als den Urheber der Misere versucht anzuprangern. Zu wünschen wäre dem Leser, dass er ordentlich was zu lachen hat. Es gibt keinen Grund lange Gesichter zu ziehen:
  209. </p>
  210. „Du musst nicht traurig sein, <br/>
  211. Um militant zu handeln,<br/>
  212. auch wenn das <br/>
  213. wogegen du kämpfst <br/>
  214. abscheulich ist“ <br/>
  215. ( Anti-Ödipus) <br/>
  216. <h2>4) Anything goes?... Nothing comes! </h2>
  217. „Auch der Positivismus ist eine Metaphysik, <br/>
  218. aber eine ganz schlechte.“ <br/>
  219. Eugen Fink <br/>
  220. Estragon : <br/>
  221. On trouve toujours quelquechose pour nous donner <br/>
  222. lìmpression dèxister, he` Didi ? <br/>
  223. Wladimir : <br/>
  224. Mais oui, mais oui, nous sommes des magiciens ! <br/>
  225. <h2>Von Zetteln, die träumen und irischen Seefahrern </h2>
  226. <p>
  227. Es ist keine kleine Sache, dass ich nicht ausführen kann, was ich überhaupt unter dem Wort Positivismus zusammenhalte. Mir ist bei dieser und jener Gelegenheit die Offenbarung der Jetztzeit in die Ohren gekommen. Das kann mir aus der Patsche helfen, dass ich ja irgendetwas sagen muss, woran der Leser sich orientieren kann: „Es ist wie es ist, und so wie es ist, ist es gut.“ Wir haben hier in wenigen und verstehbaren Worten die zweifache Bedeutung des Wortes „positiv“ vor die Augen gebracht. Zum einen ist damit die schlichte Vorhandenheit einer Sache, eines Gegenstandes oder wie auch immer gemeint. Da scheint eine klare Vorstellung zu sein, mit der sich pragmatisch arbeiten lässt. Der Leser sollte sich an mein Gemäkel über dieses und jenes inzwischen gewöhnt haben. Ich erhebe also Widerspruch gegen die problemlose Rede von den Sachen, die angeblich so sind, wie sie sind: Wie sind sie denn nun? Im Bereich der alltäglichen Gegenstände (Tassen im Schrank und Ähnliches) mag das das Vorhandensein einer Sache ja doch Rückschluss auf die Frage ermöglichen, wie sie beschaffen ist. Mit empirischen Methoden ließe sich einiges festmachen( Farbe, Form, übliche Weise des Gebrauchs etc.) Weit schwieriger verhält es sich, wenn wir von Dingen sprechen, die sich sinnlich nicht wahrnehmen lassen. Ich habe weiter oben etwa von Gott, der Freiheit und der Seele gesprochen. Ich hoffe doch sehr, dass die verbliebene Leserschaft mit solchem Hokuspokus ebenso wenig anzufangen weiß wie ich. Falls doch, empfehle ich die kostbare Zeit nicht hier, sondern in der Kirche zu verbringen. Aber auch für unsere Zeit verbindliche und scheinbar jedermann geläufige Vorstellungen sind ganz und gar nicht leicht zu bestimmen. Ich sach mal (sachte der Altbundeskanzler immer) Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft. Was darunter zu verstehen sei, darüber dürfte doch wohl einige Unklarheit bestehen, oder etwa nicht? Uns das ewige hin und her im Gefühls- und Gedankengebrodel der Einzelwesen als „so sein, wie es ist“ weiszumachen, ist andererseits zumindest nicht ganz humorlos. Das möge jeder für sich selber einmal versuchen auszumachen. Wir dürfen gespannt sein, ob sich ein J. Joyce Nachfolger in unserer näheren Nachbarschaft versteckt hält. (Sagen wir mal in der Lüneburger Heide, Bargfeld. Zum Beispiel.
  228. </p>
  229. <p>
  230. Ich habe den Punkt, man wird es schon gemerkt haben, nicht zum springen bringen können. Versuchen wir also zumindest die recht kindliche Frage festzuhalten, die jeden verantwortungsvollen Zeitgenossen jederzeit aus der nur mühsam aufrecht gehaltenen demokratischen Verfassung zu bringen im Stande ist: Wie ist es denn? … und für wen ist es so? <br/>
  231. Wenden wir uns also mit Verwunderung vom „So-oder-so sein“ ab, und schauen uns mit Augen groß wie Spiegeleier das „Gut-sein“ etwas näher an. <br/>
  232. Offen gestanden kann ich mir die Augen reiben bis mir die Finger wund werden, der Schleier meines Schlafes lässt sich nicht vertreiben. Einzig brauchbar scheint mir die Annahme, dass der Verdienst einer Sache, eines Zustandes, Gefühls etc. darin besteht, überhaupt nur da zu sein: Das was ist, ist immer, notwendig und unvermeidbar, auch gut. Schwieriger Fall, soviel kann ich schon verraten. <br/>
  233. Halten wir also als Merkmale des Positivismus im weitesten Sinne zweierlei fest: Einen plump-naiven Realismus und einen unbeirrbar-bornierten Optimismus, welcher einem Hören und Sehen vergehen lässt, so das man aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt.
  234. </p>
  235. <h3>Das Ich hat sich zum Ende gedacht</h3>
  236. <p>
  237. Realismus und Optimismus, so wird sich manch Eine denken, dass hört sich doch gar nicht so schlecht an. Ich habe es bereits angedeutet, damit ist es für die werten Genossen unserer Tage noch nicht getan. Die fröhliche Gefangenschaft von Denken und Fühlen im Hier und Jetzt hat sich gefälligst auch zu verwirklichen, und zwar in irgendwie nützlichen und vorzeigbaren Tätigkeiten. Die große Sorge der Fürsprecher von Aufklärung und Moral gilt den Einzelwesen, welche nutzlos ihre Lebenszeit durch Herumlungern vergeuden, oder, was weitaus bedenklicher wäre, von berauschenden Lüsten auch nur zu träumen wagen. So weit geht die Fröhlichkeit nu`doch nicht: Vor dem Verleiten durch Gesänge, die nicht den Takt zur Tat begleiten, soll Wachs die Ohren stets verschlossen halten. „Wie“, so höre ich den Landpfarrer und die sozialdemokratischen Glucken männlicher und weiblicher Machart fragen, ist denn nicht der Mensch unserer Tage voll und ganz auf sein eigenes Wohl und Wehe und auf Genuss im Dasein ausgerichtet. Lässt er es sich denn nicht gut gehen, nimmt er denn nicht ganz und gar keine Rücksichten mehr auf das gemeine Wohl, und lehnt er denn nicht jede Form von Verantwortung ab?“ Nun, würden wir den täglichen Dauerbeschuss durch Telenovelas und Talkshows a la Christiansen (wo wir gerade von Glucken sprachen) nicht unseren Glauben abgesprochen haben, wir könnten tatsächlich glauben, Sodom und Ghomora sei ein Kindergeburtstag gewesen. Dem, lieber Leser und liebe Leserin, ist nicht so. Das tagtägliche Leben der meisten Menschen ist alles andere als lustig, und sie sind voll und ganz damit beschäftigt, sich über die Runden zu bringen. Die Sorge, dass in absehbarer Zeit da ganze Gebäude vor lauter Lotterei in sich zusammen bricht, ist unbegründet. Auf der anderen Seite allerdings, und darauf wollte ich zu sprechen kommen, ist die emsige Geschäftigkeit, mit welcher unsere lieben Zeitgenossen den Versuch unternehmen, aus ihrer spärlichen Freizeit das Beste herauszupressen, tatsächlich nicht gerade das Gelbe vom Ei. Es wird sich abgehetzt und angespannt, um nichts verpasst zu haben. Der Herr Jedermann und seine Frau haben die neusten Bestseller aus dem Spiegel selbstredend alle auf dem Schirm, wer gerade nicht beim Mexikaner vietnamesische Feinkost auf sich wirken lässt, der jagt durch Museen, als gelte es Rekorde zumindest einzuholen, die Sportarten neuerer Machart erfreuen sich höchster Beliebtheit und der Jakobsweg muss wohl demnächst aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Nun, ich bin ein etwas langsamer Mensch, und auch nicht gerade enorm in Form. Trotzdem stelle ich mir die Frage: Wann, Herrgottsakrament, machen die das nur alles? Und könnte es Menschen geben, die einem solchem Flächenbombardement an Eindrücken tatsächlich gewachsen sind. (Ein Freund meinerseits war zu einem kurzen Urlaub in Thailand. Auf meine Frage, wie es gewesen sei, antwortete er: Schön. - Das war`s. Schön. Zumindest weiß ich bescheid, wie es in Thailand ist, ohne dort gewesen zu sein. In Thailand ist es schön. Spart euch also euer sauer verdientes Geld, auch ihr wisst jetzt bescheid. In Ägypten ist es, so vermute ich, übrigens auch schön!)
  238. </p>
  239. <p>
  240. Da ich in die Ecke des Miesepeters und Sozialneiders gerückt bin, muss ich nu doch klarstellen, dass meinethalben jeder anstellen darf, was er will oder zu wollen glaubt. Die aufdringliche Weise, die angeblichen oder wirklichen Abenteuer aber als das Nonplusultra eines gelungenen Lebens gefragt und ungefragt mir um die Ohren zu pfeffern, davon habe ich genug gehört. <br/>
  241. Weniger ist zuweilen mehr.
  242. </p>
  243. <h3>Der Albtraum wird klimatisiert</h3>
  244. <p>
  245. Was war das? Habe ich mich zu Äußerungen hinreißen lassen, die von den tattergreisigen Ressentiments gewisser Herrschaften nicht mehr zu unterscheiden sind? Will ich zurück zum ungebrochenen Glück von Heimat, Heim und Herd? Wohl kaum. Dass aber unserer Zeit die Ruhe und der Ernst abhanden gekommen ist, daran wird doch wohl nicht zu rütteln sein. Ich kann das von mir ins Auge gefasste Problem auch folgenderweise zur Sprache bringen: Weder im beruflichen noch im privaten Rahmen ist es dem Einzelnen möglich seine Kräfte in einer Weise auszubilden, die der Bildung seines Charakters förderlich sind. Das Ich verliert sich in der Mannigfaltigkeit seiner Tätigkeiten. Oder umgekehrt: Das Ich erfährt sich nicht als die identische Einheit in der der Wahrnehmung der gegenständlichen Welt. Die Vorstellung, der unbedingte Wille zum Tun hätte den Reichtum der eigenen Erfahrungswelt zur notwendigen Folge, scheint aufgesetztes Gehabe als seinen verlogenen Grund zu haben. Da ich den entsetzten Aufschrei über derlei Frevel an der ameisengleichen Getriebigkeit schon zu hören vermeine, erlaube ich mir noch Folgendes anzufügen. Ich gebe zu bedenken, dass die klassische Bildungstheorie in nicht unwesentlicher weise als eine ganz und gar innere (!) Ausbildung der Kräfte des Menschen zu einem harmonischen Ganzen zu verstehen ist. Die (bloß) äußerliche Wirkung ist, wenn wir so wollen, eine (durchaus erwünschte) Begleiterscheinung. Wer also unbedingt auf seiner Position der unbedingten Aktivität beharren möchte, möge sich mit Herrn von Humboldt und nicht mit mir herumschlagen. Meine Rede vom Ich als dem Standbein in der mannigfaltigen Welt war allerdings, Ihr werdet es bemerkt haben, ein Klops, den Herr Professor Kant, der Königsberger, uns serviert hat. <br/>
  246. Die Rollentheorie unserer Freunde von Übersee dürfte wohl nicht im Verdacht stehen, mit den überholt-veralteten Überbleibseln der europäischen Philosophie auf Du und Du zu stehen. Den soeben besprochenen Sachverhalt vom Untergang des einheitlichen Ich hat sie verstanden zu ihrem Nutzen auszuschlachten. Hier wie überall hat sie aus der Not eine Tugend gemacht. Pragmatisch eben. Positiv. Praktisch. Gut <br/>
  247. Halten wir also fest, dass es so oder so betrachtet mit den Menschen den Bach hinuntergegangen ist. Das Man möge es bedauern oder sich selbst ein Fest geben, das Ich als die ursprünglich-synthetischen Einheit wird heute durch noch so viel Wind und Wirbel nicht dazu gebracht werden, von den Toten aufzuerstehen.
  248. </p>
  249. <h3>Jetzt werden Sie geholfen</h3>
  250. <p>
  251. Ich bin mir selber nicht im Klaren, wie die Selbstbeschneidung des modernen Menschen zu verstehen sei. Sind die negativen Aspekte menschlichen Lebens (Krankheit, Tod und Sorge) als Störenfriede aus dem Bewusstsein verbannt, um den reibungslosen Verlauf der alltäglichen Notwendigkeiten zu gewährleisten? Oder hat man uns den Sinn fürs Praktische schmackhaft machen können, da wir nicht in der Lage sind, die Last unserer menschlichen Lage zu ertragen? Ich möchte diese Frage nicht weiter verfolgen. Ein Verständnis für das ausweglose Verhängnis, die Fragen nach dem Mensch-Sein nicht befriedigend beantworten zu können, scheint unserem Zeitalter so oder so betrachtet abhanden gekommen zu sein. Vor dem Druck dieser Last scheint sich der moderne Mensch auf dem Ruhekissen des praktischen Positivismus\ positiven Pragmatismus drücken zu wollen, selbstredend ohne sich erholen und neue Kräfte schöpfen zu können. Viele Fragen sind zur Seite geschoben worden. Zumindest sollten wir das wissen. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ist die verfahrene Lage angesprochen worden: Der Kreis hat sich mit der Heraufkunft von Nihilismus und Dekadenz geschlossen. An die Stelle des untergegangenen Christentums und seiner Metaphysik hat die neue Welt keine sinnstiftenden Werte setzen können, die Selbsterhaltung wurde zum Selbstzweck. An anderer Stelle hat sich hierfür die Rede vom Zusammenbruch der geistig sittlichen Welt erhoben. Ich erzähle hier nicht die Märchen aus tausend und einer Nacht, der moralische Verfall der individualisierten Einzelwesen wird in regelmäßigen Abständen von den moralistischen Vorkämpfern aller Lager beklagt. Von den historischen Bedingungen, politisch, pädagogisch und philosophisch, wird naturgemäß geschwiegen
  252. Die positivistisch-pragmatische Ausrichtung des Lebens scheint in ihrem Gefolge auch die Sinnlosigkeit und sonstige seelische Verwüstungen zu haben. Die Öde und Leere des ganz und gar innerweltlichen Verwaltens ist wohl so groß, dass jede Sinnstiftung Hoffnung haben darf, fraglos geschluckt zu werden. Von den politischen Folgen brauche ich wohl nicht zu sprechen. Die esoterischen Versprechungen dieser und jener Art sind ebenso in aller Munde. Ich kann nur empfehlen nicht nach jeder Sinnstiftung wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm zu greifen, sondern gut nachzuforschen wem man da bereit ist auf den Leim zu gehen. Mag unser moderner Rationalismus auch noch so nüchtern, kalt und sinnlos scheinen, besser als so manch traditionell-religiöse Scharlatanerie ist er noch allemal.
  253. </p>
  254. <h3>Mut, ich sag`s ja, Mut</h3>
  255. <p>
  256. Wir haben gesehen, dass das Tempo, mit welchem sich der Hamster im Laufrad von Nirgendwo nach nirgendwo abquält, nicht von allen Seiten mit Beifall besehen wird. Die Praxis menschlichen Lebens hat ihren anfänglichen Schwung verloren, das ziel gerichtete Handeln ist dem Machen zur Seite gewichen. Wie aber sieht es nach unserer Meinung in der Kommunikationsgesellschaft mit dem Denken aus? Man wird es schon ahnen, so recht zufrieden bin ich mit den verbreiteten Gedanken unserer Epoche nicht. Wir sind aufgrund des technischen Fortschritts durchaus in der Lage uns mit Wissen zu versorgen. Allein es fehlt der Mut eine Sache auch bis zu Ende zu Denken. Es wird wohl gerade so lange über dieses oder jenes gedacht, bis ein vorzeigbares Ergebnis zur Hand ist. Was kennen unsere werten Zeitgenossen nicht alles für Namen? Dostojewski und Poe, Beckett und Joyce, Bernhard und Bachmann. Und da ist nicht ein Körnchen an Zweifel in das Bewusstsein eingedrungen, ob nicht doch unser ganzes Dasein etwas ist, was besser nicht wäre? Wie kann das sein? Wie gesagt, es hat den Anschein als würde es nicht an der nötigen Verstandeskraft, sondern vielmehr am nötigen Mut fehlen, das Gedachte auch zu ertragen. Man nenne mir einen Schriftsteller von Format und Weltruhm der sich nicht zumindest gelegentlich einmal über das Los der Menschen lauthals beklagen würde. Sagen wir mal Goethe: Ich bin der Geist, der stets verneint, und das mit Recht, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Viel besser wär, wenn nichts entstünde, und all das, was Ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, das ist mein eigentliches Element. Sicher, sicher: Er lässt es den Teufel sagen. Von daher kann der letzte Mensch wieder verschmitzt Lippen lechzend sich aufgeilend über dem Werther blinzeln. Der Schullehrer wiederum mag sich beruhigt in den Sessel seiner staatlich subventionierten Lebensfreude fallen lassen. Nein, Goethe war kein strikter Abstinenzler in Bezug auf die Freude am Dasein. Einen gesteigerten Zweifel am ungetrübten Wert des Daseins sollte die Beschäftigung mit der höheren Literatur aber doch nach sich ziehen.
  257. </p>
  258. <p>
  259. Halten wir also fest, dass in einem positivistischen Weltbild aus „Theorie und Praxis“ „Kenntnisse und Fertigkeiten“ geworden sind. Diese lassen sich auf die eine oder andere Art zu dem einen oder dem anderen Nutzen ausschlachten. Was auch getan wird. Die Kultur hat ihren bildenden Charakter verloren. Ihr Gehalt geht im informativen Gerede, durch welches sie im Gespräch der Jetztzeit verblieben ist, unter. Allemal besser als das Halbwissen ist, so gebe ich mir und dem Leser mit auf den Weg, das Nicht-Wissen.<br/>
  260. Um einmal der Erfahrung teilhaftig zu werden wie groß die Zumutung der Verbreitung von Kulturgütern höchster Klasse durch den munteren Plauderton ,quasi im Vorbeigehen ist, empfehle ich diverse Kultursendungen im Radio ausnahmsweise mal nicht beim Abspülen und Bügeln sondern mit voller Konzentration zu hören. Da kann einen schon mal die Wut packen.
  261. (Dass es auch sehr gute Sendungen im Radio gibt, lasse ich nicht unerwähnt)
  262. </p>
  263. <h3>Das Massenmedium macht bum </h3>
  264. <p>
  265. Die Plagegeister im Endzeitkapitalismus wissen also über alles irgendwie Bescheid und sind überall mit dabei. Lassen wir sie in ihrem Glauben auf der Höhe der Zeit zu sein. Sie haben es schwerer, als sie es sich anmerken lassen. Wir sollten an die Stelle des Wissens das Schweigen für uns behalten und an die Stelle die Dinge in ihrem Lauf lassen. Mit anderen, nicht weniger unklaren Worten ist es ganz in unserem Sinne die Kunst des Nicht-Mitmachens als die große Weigerung zu kultivieren. Was unter diesem verklausulierten Gedankenwirrwarr denn im Konkreten zu verstehen sei? Dass es damit, das Sprechen und Handeln einzustellen nicht getan ist, dürfte sich von sich selber her verstehen. Die Kunst besteht darin sich nicht dumm machen zu lassen, sowie das so und so gelebte Leben nicht als das einzig Wahre, will sagen als das bessere Leben in alle Welt hinauszutönen. Es ist durchaus denkbar, dass gerade die Verweigerung der Verwirklichung in Tat und Wort eine Welt mit Leben füllt, die gerade darin ihr Gegenbild zu haben scheint. Ein Rückzug in den Elfenbeinturm von Kunst und Religion, der nicht die materialen Bedingungen seiner selbst reflektiert, ist uns nicht weniger affirmativ als das bedingungslose sich Unterwerfen unter den Zwang der Selbsterhaltung.
  266. Was das mit Massenmedien zu schaffen habe? Es wird uns an nicht wenigen Schauplätzen vorgegaukelt, dass die Gegenentwürfe zur bloßen Faktizität des Daseins nicht nur möglich, sondern vielmehr wirklich seien. Auch das vermeintlich Andere hat seinen Platz in der Totalität einer Wirklichkeit, die ihre Rechtfertigung gerade aus einer Toleranz gegenüber dem Anderen bezieht, welches sich ihr bedingungslos unterworfen hat. In nicht wenigen Fragen sind sich der Langzeitarbeitslose und der Lehrer, der Schwule und der Pantoffelheld, der Herr Professor und der Analphabet sowie der Punker und der Sparkassendirektor erschreckend einig. Wo Rauch ist, so denkt sich der Pöbel, da muss auch Feuer sein, und wo eine so einmütige Übereinstimmung im wahrsten Sinne des Wortes herrscht, da darf auch nicht gezweifelt werden. <br/>
  267. Gestritten werden darf dann hitzköpfig über die Abschaffung der Pendlerpauschale, der Kopftücher und Kruzifixe.
  268. Gerade in der Darstellung der ganzen bunten Vielfalt des Lebens und Sterbens also manifestiert sich die Eindimensionalität unserer geliebten Medienlandschaft. Ein Sachverhalt, der einer gewissen Paradoxie nicht entbehrt.
  269. </p>
  270. <h3> Der Stand der Dinge </h3>
  271. <p>
  272. Ich habe in einem ersten Anlauf meine Zweifel an der positivistischen, an Frohsinn und Tatendrang orientierten Weltanschauung an den Tag gelegt. Der Bezug zur gegenständlichen Welt wurde von mir vereinfacht als Denken und Handeln aufgefasst. Mit meiner Meinung gerade diese Bezüge seien in unseren Tagen so ganz und gar missglückt, und zwar wegen ihrer engstirnigen Beschränktheit auf den guten Ausgang aller himmlischen und irdischen Dinge, habe ich mir gewiss keine Freunde gemacht. Die unverbesserlichen Welt- und Menschenfreunde sind nicht nur aufgebläht mit Stolz bis zum Schwellen der Brust und Heben der Nasen über jede noch so geringfügige technische Fähigkeit und zusammenhangslose Anhäufung von faktischem Wissen. Gerade darin sehen sie den letztgültigen Beweis für die Gelungenheit des eigenen Lebens und den Ausbruch paradiesischer Zustände auf Erden. Wer, so der etwas sonderbare Gang des Gedankens, das oder das wisse oder das oder das beherrsche, dem könne es nicht elendig zumute sein. Nun, Kenntnisse und Fähigkeiten sind das eine, die Gestimmtheit im Hier und Jetzt ist etwas anderes. Das der Jammer des Daseins sich nicht durch die Sicherstellung der allernotwendigsten Bedürfnisse aus dem Wege räumen lässt und auch die beste Ablenkung eine Medizin ist, die hier ihre Wirkung notwendig verfehlen muss, scheint das völlig Undenkbare zu sein. Die schlichte Hinnahme der Unzulänglichkeiten des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens wäre durchaus zu empfehlen, um frohen Mutes den einen oder anderen Stein über den Berg zu schieben, mag er rollen in welche Richtung es ihn von selber her zieht. Die emsige Verbissenheit den Bann zu brechen wäre dann ein verlorenes Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen. Im fröhlichen Fatalismus wäre unser vermaledeites Europäertum endlich untergegangen. Die Zeit scheint hierfür allerdings noch lange nicht bereit zu sein.
  273. </p>
  274. <p>
  275. Wie gesagt, im Vorbeigehen habe ich zur gegenständlichen Welt, wie wir sie uns mit Hilfe eines provinziellen Zimmermannes und mehr noch seiner Lakaien zurechtgezimmert haben, mehr als abfällig geäußert. Wer weiter seiner Dinge ungetrübt nachgehen möchte, der möge dies tun. Ich dagegen werde weitere abfällige Äußerungen über einen anderen nicht unwesentlichen Bezug des Menschen fallen lassen: Die Beziehung des Menschen zu den anderen Menschen. (Das Man nennt die Bestie barbarischer Herkunft beschönigend „die Lieben“, - nur das man mich versteht)
  276. </p>
  277. <h3>Die Hölle und die Anderen </h3>
  278. <p>
  279. Um es eingangs schon unverblümt der Leserschaft anzuvertrauen: Auch mehr oder weniger harmonische Beziehungen zwischen Menschen wie Liebe, Freundschaft und familiäre Bande sind stets auch als Machtbeziehungen zu interpretieren. Lassen wir uns von unseren wehmütigen Gefühlen und Sehnsüchten bloß nicht den Blick verstellen. Es ist ganz und gar nicht nötig ein ausgemachter Menschenfeind zu sein, um den Kampf um Anerkennung als des Pudels Kern zu nehmen. Die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft aus der Phänomenologie des Geistes hat uns ein Lied davon gesungen. Und den übermächtig großen Hegel wird doch niemand der menschenverachtenden Gehässigkeit vorführen wollen? <br/>
  280. Versuchen wir also auf dem zweiten Schlachtfeld einen Schlag gegen die Beschränktheit einer Sichtweise zu landen, die ihren Blick von Krankheit, Tod und Wahnsinn zu ihrem eigenen Schaden abgewendet hat. Zur Sprache zu bringen wären so die unsäglichen Leiden der wirklichen, lebendigen Menschen. Innerhalb der zur Herrschaft gekommenen Grundlegungen von Welt und Wirklichkeit gehen sie samt und sonders, mit Mann und Maus verloren. Dass hierbei nicht mit einmal den Wimpern gezuckt, wird lässt uns aufschrecken. <br/>
  281. </p>
  282. <p>
  283. Wir werden in unsrem Zusammenhang wesentliche Teilstücke der menschlichen Beziehung ausblenden: Erziehung, Sprache, Macht etc. Die Unfähigkeit, die negativen Aspekte des Lebens auch nur in der weitesten Ferne zu ertragen zeigt ihr barbarisches Gesicht in den scheinbar harmlosesten und losesten Beziehungen. Frank und frei. <br/>
  284. Das Leiden wurde sich verwehrt. Im unermüdlichen Schönreden und in Ordnung bringen ist es in der Versenkung verschwunden. So weit so schlecht. Auch beim Anderen darf das nicht mehr ein noch aus wissen vor lauter Unheil seinen Platz nicht finden. Wer den Schaden hat, der braucht gewöhnlich für den Spott nicht zu sorgen. Ein Überfluss an Worten trichtert den Menschen ein, für ihr Geschick und Missgeschick die volle Verantwortung zu tragen. Schön blöd, wer sich in der Welt der schönen Bilder nicht mit behaglicher Miene hat einrichten können. Mit der Verhonepiepung der gebeutelten Kreatur aber lässt es die Aufdringlichkeit der aufgesetzten Lebensüberfreude nicht auf sich beruhen. Ratschläge werden aus der Rumpelkammer des Bewusstseins dem verdutzten Antlitz des Anderen entgegengeschleudert als gelte es, ihn durch Schläge ins Gesicht wieder zur rechten Besinnung zu bringen. Gut Gemeint? Gut gemacht dagegen wäre die bescheidene Zurückhaltung in Wort und Tat. Die entsprechende Charaktereigenschaft wird in unserer Sprache mit dem Wort Mitleid angesprochen. Die Unersättlichkeit in Bezug auf Ereignisse, die von der leeren Öde des Daseins abzulenken versprechen, wird im Leiden um das Leid des Anderen willen ganz und gar aus ihrer Bahn geworfen. Das Mitleid setzt den Menschen schutzlos dem Anderen aus, ohne Wenn und Aber. „ Eine Passivität“ so Emmanuel Levinas „die kein gesunder Wille wollen kann“. Oder anders: „ Sich selber fremd, besessen vom Anderen; das ist noch weniger als nichts“( aus „ Humanismus des Anderen“). Folge hiervon ist menschliche Wärme und ein Gefühl der Solidarität, des Zusammengehörens im Fall aus allen Wolken.
  285. </p>
  286. <p>
  287. Ich habe mich im Nebel von vagen Andeutungen gehalten. Schön wäre einmal auf die Stimme des eigenen Gewissens zu hören, ob mit der unverbesserlichen Beschränktheit, über die ich versuche zu sprechen, wirklich ein menschliches Miteinander möglich ist. Die Vereinsamung in der modernen Welt ist in aller Munde. Vielleicht haben wir soeben die Wurzel des Übels zu Gesicht bekommen? <br/>
  288. Da auch ich mit dem Ratschlagen nicht zurückhalten kann, so wie es sich für ein Kind unserer Tage gehört, empfehle ich neben dem erwähnten Buch von Levinas noch die christliche Ethik sowie den verrückten Professor Schopenhauer zu Rate zu ziehen („Über die Freiheit des menschlichen Willen“). Ebenda findet sich auch die Kritik der kantischen Vernunftethik.
  289. Die Schrift „ Über die Aktualität Schopenhauers“ aus der Kritik der instrumentellen Vernunft von M. Horkheimer wiederum hat den Vorzug etwas jünger zu sein.
  290. </p>
  291. <h3> Das ich setzt sich, oder: zwischen den Stühlen </h3>
  292. <p>
  293. Die Trennung der Bereiche gegenständliche Welt, die Anderen und das Selbst ist ein Modell. Die Beziehung des Menschen zu sich selber wird im Verlauf des Alltäglichen durch Arbeit und sonstige unliebsame Scherereien in den unterschiedlichen Beziehungen verdeckt. In der klassischen deutschen Philosophie war der Weg des Menschen zum Selbst ein Akt des Bewusstseins, Wissens, Verstandes, Vernunft oder wie auch immer. Ich habe weiter oben bereits Wehklagen über den Verlust des Ansehens der Bildung erhoben. Was nicht der Verwirklichung in nützliche Zwecke sich fügen mag, hat seinen Sinn verloren. Die buchstäbliche Verschrobenheit der Herren Professoren und Doktoren lässt uns ahnen, wie weit der Verfall der Bildung vorangeschritten ist. Überhaupt ist dem allgemeinen Bewusstsein unserer Tage das Denken nicht ganz geheuer. Gemeinhinglich wird ein zuviel an Intellektualität gar als die Wurzel aller Übel beim Namen genannt. Dass aber die intellektuellen Feinschmecker im so genannten Land der Dichter und Denker wie die Pilze aus dem heimatlichen Boden sprießen würden, mir ist das noch nicht in den Sinn gekommen. Wie üblich werden Wunsch und Wirklichkeit im Wahn der eigenen Größe als ein und dasselbe genommen. Im Zusammenhang mit den Ruhmreden auf das bestehende Schlechte, als die wirkliche Macht, an die es sich zu schmiegen gilt, möchte ich nur einen Aspekt der Beziehung des Menschen zu sich selber besprechen. Die Sorgen Ängste und Nöte, die das Leben nun einmal ausmachen, auch nur im vertrauten Zwiegespräch an den nächsten weiterzugeben heißt der Lächerlichkeit oder der Besserwisserei ins offene Messer zu laufen. Über kurz oder lang wird der Mantel des Schweigens über die missliche Lage der menschlichen Gattung auch von den Einsamen, Unglücklichen und Zerrissenen noch erzwungen. Durch Spott und kluge Worte, im schlechteren Fall; besseren falls durch ein behagliches sich Räkeln im eigenen, vermeintlich besseren Geschick. Das Totschweigen einer Welt, die vor aller Augen dank Schopenhauer offen zu Tage getreten ist, hat uns die Langeweile der leeren Phrasen aufgeblasener Jahrmarktspuppen beschert: das bloße Gerede. Es hat uns die Sinnlosigkeit beschert: Den Bann des Daseins durch Taten zu brechen, wird verdeckt durch die pausenlose Geschäftigkeit, die den Atem nicht zur Ruhe des Gedankens kommen lässt. Es hat uns die eisige Einsamkeit beschert: Die Unfähigkeit, dem Anderen schweigend in die Tränen seiner Augen zu sehen. Es hat uns den Verlust unserer Unschuld beschert. Das Wagnis, sich dem Anderen in verletzbarer Offenheit anzuvertrauen, nackt wie wir sind, ist uns zu groß geworden.
  294. </p>
  295. <h3>5)Vergesellschaftung </h3>
  296. Von der Vernunfthöhe herunter <br/>
  297. sieht das ganze Leben einer Krankheit <br/>
  298. und die Welt einem Tollhaus gleich. <br/>
  299. Goethe <br/>
  300. <p>
  301. Überlassen wir das blumige Reden den Freunden der metaphysischen Winterhilfe. Mit hat am Herzen gelegen dem Leser die Freude an der Individualisierung madig zu machen. Viel zu vielen ist an ihrer deformierten Verfassung noch viel zu viel gelegen. Beschönigt wird der Mangel an allem durch Worte wie Verantwortung, die es zu tragen gelte und ähnliches. Die unentrinnbare Verstrickung in die unbezwingbare Übermacht Verhältnisse wird als ein Fest gefeiert. Ob es möglich ist jenseits dieser Feste seinen Tanz zu tanzen, ist eine Frage, die es in sich hat. Man versucht uns durch viel versprechende Worte an der eigenen Nase herumzuführen: Pluralismus z.B. Es ist keine kleine Unverschämtheit dem Einzelwesen eine Welt einzutrichtern, von der er nichts hat, und ihn zugleich als den Verantwortlichen für eben die Welt einzuberufen, für die er nichts kann. Der fadenscheinige Wirrwarr an Gedanken lässt uns Hegels Akrobatik als hart gesottenen Realismus erscheinen. Die Verwobenheit des unentrinnbaren Einzelschicksal mit dem Gang der Dinge Im Allgemeinen dürfte bei Georg Wilhelm Friedrich doch wohl ausreichend zur schrulligen Sprache gebracht worden sein? Es ist nicht nötig mit den Zumutungen des Deutschen Idealismus zugleich auch dessen emanzipatorisches Potential auf den Müllhaufen der Geistesgeschichte zu befördern, meine Herren. Im Laufe unserer zukünftigen Geistesgeschichte werden wir uns am einmal erreichten Stand messen lassen müssen. Es ist durchaus möglich, dass die neunmalklugen Allerweltsweisheiten unserer Tage als ein Schritt nach hinten in die Geschichte einzugehen verdammt sind. Nun wird man mir zu recht in das schleppende Schleichen und stolpernde Wanken den Knüppel werfen, dass mit spekulativen Einsichten in der Härte des Lebens kein Blumentopf zu gewinnen sei. (Eben das - die Härte des Lebens- habe ich übrigens soeben versucht an den Mann und die Frau zu bringen. Ich sag’s ja: Ganz nach Lust und Laune werden die Meinungen gewechselt wie die Unterhemden , um jegliche Kritik aus der Bahn zu werfen) Die Übermacht der Verhältnisse zeigt sich aber nicht einzig in den Argumenten, die nun einmal die besseren sind, sondern ebenso in wirklichen und empirisch messbaren Manifestationen eines gegebenen Zustandes. Jeder glaubt ein neues Wort über den Stand der Dinge auf den Markt werfen zu müssen, um mit seinen eintönigen Floskeln über dieses und jenes dem Publikum in den Ohren Hängen zu können. Sagen wir mal Risikogesellschaft, Unübersichtliche Moderne, Postmoderne, globalisierte Welt etc. etc etc.. Die Aufregung ist jeweils unverhältnismäßig groß. Die Globalisierung des Kapitals etwa ist bei dem nicht ganz unbekannten K. Marx ein nicht unbedeutender Faktor in der Analyse. Viel Rauch um nichts also? Wer weiß. An dem Streit um die Frage, ob wir in der so oder so benannten Gesellschaft munter durch die Kanäle zappen, möchte ich mich nicht beteiligen. Industriegesellschaft oder Spätkapitalismus? So oder so betrachtet werde ich versuchen die unbedingte Verbindlichkeit der Verhältnisse sichtbar zu machen. An mindestens drei signifikanten Merkmalen unsrer Welt wird wohl nicht gerüttelt werden wollen: Industrialisierung, Institutionalisierung und Demokratisierung. Hierzu möchte ich noch folgendes anmerken. Erstens: Wer sich für so schlau hält, dass er noch in der Lage ist ein oder mehrere Merkmale hinzuzufügen, kann mein Anliegen Verbindlichkeiten aufzuzeigen nicht gefährden. Umso besser. Andererseits nehme hier ich nicht Bezug auf die überflüssigen Spekulationen gewisser Herrschaften, die unserem heutigen Publikum zu weit hergeholt erscheinen. Es ist auch nicht nötig Revolutionen im Schilde zu führen, um die angeführten Merkmale als verbindlich anzuerkennen. Vielmehr bin ich in den Schriften eines mehr als ordentlichen deutschen Professors dem Gedanken auf die Spur gekommen, dass sich nu´ doch ein Minimum an Verlogenheit in der Lüge von der Allmacht des Individuums nicht nur behaupten, sondern auch nachweisen ließe. Dass schon die allerbelangloseste tagtägliche Erfahrung uns unsrer Ohnmacht zwingend vor Augen führt, zeigt uns, wie krumm und schief ein Denken sein muss, welches in der Behauptung des Gegenteils ihr vordergründiges Ziel zu haben scheint.
  302. </p>
  303. <h3>Industrialisierung, Institutionalisierung und Demokratisierung</h3>
  304. <p>
  305. Wenden wir uns also erneut, einem Themenbereich zu, bei dem der gewöhnliche Bürger vor Freude in die Hände klatscht. Im Bereich von Positivismus, Optimismus und Realismus gibt es für viel zu viele nichts zu meckern. Das Individuum dagegen scheint beständig auf dem Holzweg zu sein. Der Verantwortung für sich und seine gegenständliche und menschliche Umwelt verweigert es sich. Im Bereich der zunehmenden Vergesellschaftung wiederum läuft alles zur vollen Zustimmung des Freundeskreises „Rettet die letzten kümmerlichen Reste der Aufklärung“. Die Erklärung für den nu` doch sehr sonderbaren Bruch zwischen Einzelwesen und Gesellschaft allerdings bleibt man uns schuldig. Die beste aller möglichen Welten hat den einen Makel, dass die lebendigen Wesen beständig der Unvernunft auf den Leim gehen. Wie von alleine. Ohne erkennbaren Grund. An diesem Seemannsgarn ist der eine oder andere Koten nicht ordentlich geschnürt, meine Herren. Nicht, dass Ihr unbewusst veraltetes Gedankengut im Schlepptau eurer modernen Ideen habt. Sagen wir mal Genesis, Buch Moses 6 über die Verderbtheit der Menschen, die zu nichts rechtem taugen. <br/>
  306. Auch mir kommen die angeführten gesellschaftlichen Entwicklungen entgegen. Ich habe bereits meinen Missmut über traditionelle Gesellschaften angesprochen. Der verklärten Nacht von Romantik, Fundamentalontologie und allem sonstigen „Zurück zu heilen Welten, welcher Art auch immer“ muss ich mich aus geschmacklichen Gründen verweigern. Dass aber Industrialisierung, Institutionalisierung und Demokratisierung die Geburtshelfer der nivellierten Mittelstandsgesellschaft sind, daran wird doch wohl nicht ernsthaft gerüttelt werden wollen? Dass diese, ebenso wie traditionellen Gesellschaften, sehr rigide das Mögliche vom Unmöglichen unterschieden hat, liegt das nicht klar vor aller Augen? Innerhalb der Grenzen des Möglichen herrscht selbstredend ein Maß an Freiheit und Wohlstand, wie es weder in unserer Geschichte, noch im kulturellen Außenbezirk aufzufinden ist. <br/>
  307. Den einzelnen aber als verantwortlich für die Lage zu machen, in welche wir uns im Laufe der letzten Jahrhunderte gebracht haben, da ist schlichtweg Nonsens. Ich werde ein paar wohlbekannte Tatsachen ins Licht rücken, um den baren Unsinn als hellen Wahnsinn erscheinen zu lassen. So hohl kann kein Kopf sein, dass er der unbedachten Rede von der Souveränität des Einzelnen seinen Glauben schenkt. Anders sieht die Sache natürlich aus, wenn es auch im Bereich des Gewussten, Gedachten, Gesprochenen um die Verteidigung sehr mächtiger Interessen ginge. Das bloße Gerede von der Verantwortlichkeit hat im argumentativen Zweikampf eine nicht geringe Schlagkraft. Leider, und das steht ihm und ihr nicht gut, auch eine menschliche Härte, die es in sich hat. Weh dir, dass ich dir das sagen muss: Das muss man erst einmal übers Herz bringen.
  308. </p>
  309. <h3>Industrial dawn </h3>
  310. <p>
  311. In den Chor des Dauerschlagers „ Früher war alles besser“ einzusteigen liegt mir ebenso fern wie dem nervtötenden Singsang alter Tattergreise über die Härte des Lebens in den Nachkriegsjahren mein Gehör zu schenken. Dass es die Jugend von heute aufgrund gewisser Annehmlichkeiten im Bereich der alltäglichen Notwendigkeiten und aufgrund gewisser Freiheiten im Bereich der Möglichkeiten unbedingt besser hat, ist neiderfülltes Geschwätz. Die eigenen Leiden insgeheim als die größten aller anzunehmenden Übel aufzubauschen , mit den Leiden der anderen aber im Handumdrehen fertig zu werden, die Melodie kenne ich aus tausend Heimatschlagern.<br/>
  312. Dass die Industrialisierung mit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wie eine Revolution über die westlichen Völker Europas hereingebrochen ist, dürfte allgemein bekannt sein. Das Ausmaß der Veränderung lässt sich kaum vorstellen. Die Hoffnungen, welche allgemein in die schöne neue Welt gesetzt wurden, haben sich in gewisser Hinsicht mehr als erfüllt. Der Alltag auch der ärmeren Bevölkerungsschichten ist mit Annehmlichkeiten überhäuft, von denen zu träumen zu wagen vormals vermutlich schnurstracks auf den Scheiterhaufen geführt hätte. Von Kritikern der Zivilisation wird der technische Fortschritt gern ausgeblendet, und die Maschinisierung des Daseins in Bausch und Bogen verdammt. Ob wir aus dem Stand heraus in der Lage wären, der Härte des vormaligen Lebens standzuhalten, wage ich zu bezweifeln. Schon ein komfortabler Campingurlaub führt im Allgemeinen zu größeren Verstimmungen seitens der Teilnehmer. Aus Unbehagen über die modernen zustände wirft die Romantik wie üblich alles kurzerhand in einen Topf und verkauft ihre Konservenbüchsen unter dem Schwindeletikett „Zurück zur Natur“. Mit industriell hergestellter Kleidung von Jack Wolfskin, falls erschwinglich. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts hat sich allgemein Missmut über die neue Lage ausgebreitet. Den Menschen war das Ungeheuer unheimlich geworden. Fassen wir die geistige Strömung kurzerhand als „Jugendbewegung“ zusammen. Wie bereits gesagt hat auch die antiintellektuelle Phänomenologie als ganzes an den neueren Zuständen gehörig was zu meckern gehabt. Die faschistischen Strömungen in Europa haben ihren Grund wohl auch zu einem nicht geringen Teil in der Sehnsucht der Menschen nach einem Stück unvermittelter Wirklichkeit. Nach dem Krieg ist in den Achtzigern über die Folgen der Industriegesellschaft in den Bürgerbewegungen dieser und jener Art Beschwerde eingereicht worden. <br/>
  313. Dass auch bei Marx unappetitlichen Nebenwirkungen der Industrialisierung eine zentrale Rolle für die Fortentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft eingenommen haben ist bekannt. Dass auf die Marxsche Analyse in den eben angesprochenen Haufen nicht eingegangen worden ist, liegt auf der Hand. Dass sie in der lauthals beschimpften Welt problemlos ihr gutsituiertes Plätzchen gefunden haben, wird von der Verlogenheit der nachbürgerlichen Moral als Überlegenheit der bestehenden Verhältnisse interpretiert. Nach der neunundachtziger „Revolution“ haben die Becken bewegenden studentischen Schreihälse von ehemals endgültig ihre Widerstände an den Nagel gehangen. <br/>
  314. Als Erfolg wird auf das eigene Konto die gründliche Zivilisierung der Landsleute verbucht. (Die erfolgreiche Heranführung Deutschlands an die führende europäische Rolle und Eingliederung in die Reihe der kriegsführenden und kriegstreibenden Staaten lässt sich dort gleichermaßen aufführen. Ehre, wem Ehre gebührt).
  315. </p>
  316. <p>
  317. Ich bin vom Thema abgewichen, weil ich meiner Wut über gewisse Herrschaften wenig Luft machen musste. Gelegentlich bestimmt die Sorge um die eigene Gesundheit den Gang der Gedanken. Kommen wir also zu der Übermacht der industriell hergestellten Produkte im alltäglichen Düseschritt. Was sich nur schwerlich ganz abstellen lässt, ist Kleidung, Nahrung und Wohnraum. Diese werden, von Ausnahmen hiervon ist einmal abgesehen, industriell hergestellt. Dass mehr oder weniger alle Menschen ausreichend mit den angegebenen Gütern ausgestattet sind, ist zu begrüßen. Bei aller Freude über den hereingebrochenen Wohlstand, als wäre täglich Weihnachten mit allem, was dazugehört, habe ich meine Bedenken anzumelden. Zunächst einmal sind die zur Verfügung stehenden Güter bei aller Wahlfreiheit ein wenig einförmig. In den unterschiedlichen Schichten und Regionen lassen sich keine Unterschiede mehr ausmachen. Das ist kein großes Drama, machen wir uns nichts vor. Es ist besser die Füße mit Dutzendware zu schützen, als barfuss durch den Matsch zu waten. Bei einem Ausbrechen aus der uniformierten Einheitlichkeit ist allerdings mit beträchtlichen Schwierigkeiten und Sanktionen seitens der Mitmenschen zu rechnen. Ich kann von daher nur davon abraten. Unseren Freudentanz über die Segnungen des täglichen Brotes zum stocken gebracht haben jedoch die beigemischten chemischen Gifte. Frei Haus und ohne Aufpreis.
  318. </p>
  319. <h3>Formulare, Formulare von der Wiege bis zur Bahre </h3>
  320. <p>
  321. Dass das menschliche Leben letzten Endes sich selber noch zu Tode verwalten wird, ist eine Befürchtung, die vielerorts geäußert wird. In nicht seltenen Fällen soll hierdurch der neoliberalen Liquidierung des Sozialstaates und der Rechte der Arbeitnehmer Vorschub geleistet werden. Andererseits kann den Menschen in der Verwaltungsmaschinerie dieser oder jener Institution durchaus einmal das Gefühl befallen, Kafka sei ein abgeklärter Realist gewesen. Im Grossen und Ganzen bin ich mit der verwalteten Welt gar nicht unzufrieden. Ich stimme jedenfalls nicht in den Chor Jammerlappen ein, die ihre Menschlichkeit und Würde an ein paar Formularen mehr oder weniger festmachen, das verspätete Eintreffen eines Zuges aber als die Ankündigung des Jüngsten Gerichtes ansehen. <br/>
  322. Dass nicht wenige Menschen gleich dem Hauptmann von Köpenick im formalisierten Einheitsbrei vor die Hunde gehen, will ich gar nicht bezweifeln. Ob aber die freie Willkür der Entscheidungen , nach dem Gutdünken der jeweils herrschenden Machthabern, nicht vielmehr zum Bellen mit den Hunden anregt, vor die man nicht gehen möchte, das wäre noch zu klären.
  323. Überlassen wir den Leser in der Frage nach Wert und Unwert des Ballastes der bürokratischen Ordnung seinem eigenen Schicksal. Irgendwo in der zu Ende verwalteten Welt wird auch er sein Plätzchen schon finden. Man wird schon ahnen, welchen Bogen zu spannen ich im Schilde führe. Es gibt für uns kein außerhalb der Ordnung aller Dinge. Was ich auch so zur Sprache bringen kann, dass für alles, aber wirklich auch für alles, gesorgt ist. Bis ins Detail, ins letzte hinein. Ist es denn dem zurecht gehauenen Stückchen Welt wirklich so schwer einzubläuen, wie es um ihn oder sie beschaffen ist? Nun greifen wir aus der Fülle der Institutionen einmal das Bildungs- und das Gesundheitswesen heraus wie der Zauberer das Kaninchen aus dem Zylinder. Hier gibt es nichts zu staunen, denn keiner kann mir den Bären aufbinden, dass er mit diesen Errungenschaften der aufgeklärten Wirklichkeit nicht auf Tuchfühlung gegangen wäre. Verwaltung, Militär, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, Kirchen, Parteien und sich bewegende Bürger für verkehrsberuhigte Einbahnstrassen, für alles und jedes ist mindestens eine professionalisierte Institution zuständig. Und, so möchte ich in Anlehnung an Ihr wisst schon wen sagen, dass ist auch gut so. Es läuft in diesen Bereichen, wenn ich mal so sagen darf, alles wie geschmiert. Im wahrsten Sinne des Wortes und für alle irgendwie daran Beteiligten. Bildungs- und Gesundheitswesen aber sind wesentlich auf die Disziplinierung und Regulierung der Einzelwesen gerichtet. Von daher wird der lächerliche Glaube, dass eigene Leben in der Hand zu haben, federführend, dem staunenden Publikum vorgeführt. Es wird seit geraumer Zeit ein gehöriger Bohai betrieben, um die Menschen so hinzumodeln, wie man sie gerne hätte. Die recht nützliche Fähigkeit Lesen, Schreiben und Rechnen zu können, die Instandhaltung der eigenen Leiblichkeit durch das Verwenden von Wasser und Seife, die Abwendung von Krankheiten durch Dauerbeschuss mit Impfmitteln und Antibiotika, der Geschlechtskampf und Krampf zur Erhaltung der Gattung ohne sich unangenehme Krankheiten zuzuziehen oder zu verteilen - das sind keine Privatangelegenheiten mehr. Sie dienen dem Wohl der Allgemeinheit. Wer Böses dabei denkt kann durchaus dem Gedanken verfallen, dass in einem sehr umfassenden System Ich-Ressourcen zu Tage gefördert werden. Diese können, wenn sie in Hülle und Fülle zu haben sind, auch gefordert werden. Alles prima: Die Menschen leben auf einem höheren Lebensstandart länger, sind weniger krank und können mehr, als sie auf dem Markt verkaufen können. Into the bargain kommt dabei auch noch etwas Brauchbares heraus: Güter und Finanzen. Da gibt es nichts zu meckern, auch nicht von mir. Dass wir aber, im Guten wie im Schlimmen, Kinder der Aufklärung sind, ob wir nu wollen oder nicht, ist klar wie Klärchen. Den Zwang sich der Institutionalisierung aller Lebensbereiche zu fügen, sollten wir uns doch einmal durch den von freien Gedanken durchfluteten Kopf gehen lassen. Der misslungene Versuch, der eintönig entzauberten Welt rabiat den Rücken zu kehren, kann an dem reißendem Umlauf und Umsatz hanebüchener religiöser Schriften abgelesen werden. Mag auch noch so sehr in die vollen gegangen werden, mit Wiedergeburten, Kraftfeldern und alles, was sonst noch zum esoterischen Klamauk dazugehört, aus dem Grund der Aufklärung führt es nicht hinaus. A ist gleich A, wo A ist kann nicht nicht-A sein, wo eine Ursache ist, da muss eine Wirkung sein, und so weiter und so fort. In den Grenzen der aufgeklärten Harmonik wird uns mit leuchtenden Augen von wunderbaren Erlebnissen, wunderbaren Menschen und wunderbaren Wundern die Melodie eines Liedes gesungen, welches der eintönigen Rhythmik des Alltags nur allzu gern auf den Leim gegangen ist. Wer vom Dauerschlager der Aufklärung in C-dur mit vier viertel Takt ein wenig sich absetzen möchte, möglicherweise nur um sein Gehör zu verfeinern, sollte über einen langen Atem verfügen. Nicht jedes Lied kann von jedem gepfiffen werden. (Andererseits habe ich bei der Fußball Weltmeisterschaft die Fans einer Mannschaft Beethovens Neunte singen gehört, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Das spricht entweder für die betreffenden Fans, oder aber gegen Beethoven. Wer will das entscheiden?)
  324. </p>
  325. <p>
  326. Ich möchte auf dem Punkt noch weiter herumreiten, um dem Irrglauben von der freien Verfügbarkeit des Einzelnen über sein Schicksal den Garaus zu machen. Immanuel Kant hat in seinen pädagogischen Schriften das Hoffen und Sehnen der Aufklärung auf den gemeinsamen Nenner gebracht: „Der Mensch ist nichts, als was Erziehung aus ihm macht.“ Soweit Kant. Ich würde mich nur zu gerne dazu verführen lassen, durch den Schutz der Autorität des erstaunlichen Kant in dieser Frage mich unantastbar zu wähnen. Zu meinem Verdruss lässt sich heute durch das bloße Nennen vermeintlich großer Namen niemand mehr aus der Bahn seiner Gedanken werfen. Alles kalter Kaffee. Die Lage verschlimmert sich noch, denn ansonsten hat Kant viel Unbrauchbares in Bezug auf die Erziehung von sich gegeben. Schenken wir aber Kant einmal unser Vertrauen, und nehmen an, der Mensch sei tatsächlich voll und ganz das Produkt von Erziehung. Das Gewordensein der Menschen aus Gegebenheiten, auf die er keinerlei Einfluss hat, verschärfte sich durch die Institutionalisierung von Erziehung, Ausbildung und Bildung sowie der Gesundheit. Dementsprechend wird heute auch nicht mehr von Erziehung, sondern vielmehr von Sozialisation gesprochen. Das Wohl und Wehe der nachwachsenden Generation wird nicht den unzuverlässigen Fähigkeiten der Erzeuger und ihrer Bande mehr überlassen. In jüngerer Zeit sorgt noch ein Heer von Beratern, Psychologen und Ärzten unter zu Hilfenahme diverser Medikamente für das Gelingen der Sozialisation in die demokratische und aufgeklärte Gesellschaft. Weh dem Schaf, welches nicht von Morgens bis abends die unschuldige Reinheit seines weißen Felles durch Blöken mit der Herde zu Markte trägt. Sehr zu recht hat ein nicht unbedeutender Autor das Misslingen der Sozialisation als ein Glück, und zwar ein riesen großes, der ungetrübten Harmonie der bedingungslosen Anpassung, frei vom zerrissenem Schmerz, entgegengesetzt. „ Furchtbares hat die Menschheit sich antun müssen, bis das männliche Ich (selbstbewusst, zielgerichtet, Ursache seiner selbst) geschaffen ward. Etwas davon wird in jeder Kindheit wiederholt.“ <br/>
  327. Ich stelle also die unbewiesene Behauptung auf, dass die Relativierung der menschlichen Freiheit durch Kant im Laufe des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts noch stärker zu tage getreten ist. Die historische und kulturelle Begrenzung der menschlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten ist gedanklich durchdrungen worden durch die unterschiedlichsten Autoren. Die Unüberwindbarkeit der gesellschaftlichen Grenzen hat sich durch den Siegeszug der aufgeklärten Wirklichkeit und ihrer Institutionen noch verstärkt. Trotz aller Freiheiten, die man uns im Zuge der Aufklärung gewährt hat. Gnädigerweise und erst nach erbitterten Kämpfen von Menschen, die zum Teil daran gestorben sind.
  328. </p>
  329. <h3>Rocking in the free world</h3>
  330. Wenn Furcht und Destruktivität die wichtigsten emotionalen Quellen des Faschismus sind, <br/>
  331. dann gehört der Eros vornehmlich zur Demokratie.<br/>
  332. Studien zum autoritären Charakter <br/>
  333. <p>
  334. Wer hat sich nicht alles im Laufe der deutschen Nachkriegsgeschichte zum Demokraten gemausert. Besser wäre hier: mausern lassen, und zwar durch re-education. Wir verdanken also den amerikanischen Freunden nicht nur Lebensmittelpakete, Rock around the clock und mehrere ganz amüsante Spektakel in aller Herren Länder, sondern auch den Komfort einigermaßen unversehrt das Leben zu überstehen. Ohne die Übermacht der Amerikaner wäre das denkende und dichtende Volk von seiner Lieblingsbeschäftigung wohl nicht abzubringen gewesen. Wie es sich für ordentliche Untertanen gehört, haben sich meine Landsleute recht problemlos der neuen Situation anpassen können, in West wie Ost. Ein gewisses Ressentiment gegenüber den Siegern des Zweiten Krieges ist allerdings bestehen geblieben. Bei jeder Gelegenheit wird ungefragt Amerika an den Pranger der öffentlichen Redseligkeit gestellt. Zu Zage tritt ein offener Hass, welcher sich im Geheimen nur in der Weigerung Ketchup zu essen Ausdruck zu verleihen weiß. Der Fall ist insofern unbedenklich, als Deutschland zwar die führende Rolle in der europäischen Politik inne hat, ein Platz an der Sonne aber ist in der näheren Zukunft wohl anderen Nationen vorbehalten. Ich rede wohl zu sehr um den heißen Brei herum. Lassen wir also die Katze aus dem Sack: Auf die demokratische Gesinnung der deutschen Öffentlichkeit ist in der verborgenen Zukunft meiner Meinung nach kein Verlass. Trotz aller Lippenbekenntnisse. Demokratie, Freiheit und bürgerliche Rechte sind schön klingende Worte, die jedem und jeder schnell über die Lippen kommen. Da es auch der jeweilige Gesprächspartner mit der Demokratie nicht allzu ernst nimmt, kann auch die trübste Tasse sich leicht in der Reihe der Gutmenschen aufgehoben fühlen. Alles, was im Namen der angeführten Werte getan und verbrochen wird, genießt Immunität durch die zum Himmel schreiende Verlogenheit, es gut mit den unfreiwillig damit bedachten Völkern und Menschen zu meinen. Dass ebendiese Völker nicht darum schon, dass sie ungerechterweise ausgebeutet und unterdrückt werden, ein ausgeprägteres Verständnis von zivilen Errungenschaften haben, ist eine Nuss, die noch nicht alle Köpfe geknackt haben. Auch in der so genannten Dritten Welt herrscht nicht nur Hunger und Friede Freude Eierkuchen, sondern eben auch die Lust daran, dem Nachbarn und den seinen den Garaus zu machen. Damit man mich auch wirklich versteht: Wer mit Georg dem zweiten und seinem Krieg gegen den Irak nicht konform geht, braucht die arabische Liga deswegen noch nicht für einen basisdemokratischen Schützenverein mit lustigen Uniformen zu halten. Die Betonung lag im vorigen Satz übrigens darauf, die Fortschrittlichkeit gewisser politischer Bewegungen anzuzweifeln, nicht aber auf der Verunglimpfung eines Glaubens, der nicht besser und nicht schlechter ist als andere Glaubenssysteme mit ähnlich lustigen Verkleidungen. Nicht das mir humorlose Fanatiker mein Leben schwerer machen, als es ohnehin schon ist.
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  336. <p>
  337. Ich sehe also die Gefahr für die freiheitliche Grundordnung, mit allem Popanz, der dazugehört, nicht in den erklärten Feinden der westlichen Welt im In- und Ausland. Viel größere Sorgen um deren Bestand erweckt in mir die gänzliche Abwesenheit einer größeren Anzahl von Menschen, denen an der Erhaltung ihrer bürgerlichen Rechte auch etwas gelegen ist. Es ist keine schöne Sache, wenn Telefone abgehört und Daten gespeichert werden. Und was passiert? Geht ein rückelnder Ruck durch das Käseblatt aus Frankfurt? Ein Aufschrei des Entsetzens aus dem liberal gesottenen Hamburg? Fuckten, Fuckten, Fuckten. Multipel nicht nur in der choice, aber näheren Berichterstattung über die Lage der demokratischen Dinge würde ich mir schon auf dem Frühstückstisch wünschen. Die Gelegenheit an dieser Stelle den Grünen eins auszuwischen kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Mit was für einem Pomp ist die werte Gesellschaft in den Achtzigern auf der Bühne der bundesdeutschen Wirklichkeit aufgetreten. Turnschuhtragende Häkelmeister und Meisterinnen. Und heute? Der Bart ist ab, was nicht weiter schlimm ist, aber der pazifistische und basisdemokratische Lack ist auch ab. Ich weiß von nicht einer Schweinerei, bei welcher die Grünen Herrschaften nicht im Trott der Institutionen mitmarschiert wären. Darin allerdings sind sie sich und der psychischen Verfassung ihrer Vorfahren treu geblieben. Mitgelaufen, sozusagen, in die Institution hinein. (Lacht). Nun, wer die Möglichkeit hat es sich gut gehen zu lassen, der sollte dies tun. Aber dies mit der Miene einer entsetzten Gouvernante zu tun, die im Wissen um ihre eigene moralische Integrität auf das liederliche Treiben professioneller Damen glaubt herabschauen zu dürfen, das ist unerträglich. Für meinen Geschmack habt ihr zu viele Kröten nur allzu gern geschluckt. Zusatz: Weiter oben habe ich von der Fähigkeit und Schwierigkeit des nicht Mitmachens gesprochen. Ich war nicht in der Lage klarzustellen, was darunter sich vorzustellen ich dem Leser anempfehle. Die Fahnen im Wind, von denen ich gerade ein trauriges Liedchen gesungen habe, können im Negativen exemplarisch vorführen, wie schwierig die Weigerung, das Bestehende zu stützen, umzusetzen ist. Unter Umständen besteht die einzige Möglichkeit des nicht Mitmachens in der Erkenntnis, dass nicht mitmachen nicht möglich ist. So wie die Dinge zurzeit stehen.
  338. </p>
  339. <p>
  340. Mir kommt noch ein Zusatz in den Sinn, den ich mir erlaube an dieser Stelle an die soeben besprochenen Männer und Frauen zu richten. Ihr Demokratieverständnis lümmelt sich unter den herrschaftlichen Gemeinplätzen der positivistischen Herrlichkeit herum, wie die gesättigte Ratte in der Vorratskammer. Es ist mir bei dieser und jener Gelegenheit schon vorgekommen, dass schon der ja nu irgendwie liberale Hinweis auf den Abstand zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit zu der Besorgnis führt, sich außerhalb der Spielwiesen zu bewegen, welche die Obrigkeit gnädigerweise zur allgemeinen Verfügung freigegeben hat. Der Streit um so halsbrecherische Fragen wie die Pendlerpauschale etwa ist ganz und gar freigegeben zu Titeln, Thesen und Temperamenten nach jedem Geschmack. Aber ein heißes Eisen wie den Datenschutz verbal zu traktieren, das geht zu weit. Nur zu gern wird mit grobschlächtigen Attacken wie Weltverbesserei, Anarchistentum, Steinzeitkommunismus und ähnlich nichts, aber auch ganz und gar nichts sagenden Beschimpfungen und Schandwörtern die redliche Bemühung zumindest die verfassungsmäßig verbrieften Rechte einzufordern in die Ecke des realitätsfernen Querulantentums befördert. Beförderung ist hier übrigens passend wie der Schlag mit dem Zaunpfahl. Ich möchte aber nicht den Eindruck noch verstärken, dass einzig und allein die schlecht weg und zu kurz gekommen sich zu kritischen Äußerungen hinreißen ließen. Gerade die Underdogs gehen bereitwillig rückschrittlichen Hasardeuren auf den Leim. Unter den radikalen Kritikern andererseits befanden sich Menschen, die alles andere als am Hungertuch zu nagen gewöhnt waren. Sagen wa` mal Brecht zum Beispiel. Da ich die Beschimpfung von fortschrittlich gesonnenen Knappen um die Zukunft nicht nur für dumm, sondern für schlicht unverschämt halte, lege ich noch einen nach. Was, bitte schön, versteht Ihr denn unter Anarchie? Was unter Kommunismus? Was ist der Gegensatz zum steinzeitlichen Kommunismus, der mittelalterliche? Wer aber die Chuzpe auch noch besitzt den weltverbesserlichen Ansatz der bürgerlichen Demokratie in den Dreck zu ziehen, dem dürfte meinethalben ruhig das Wahlrecht entzogen werden. Ich nehme hier Bezug auf den Weltverbesserer Kant, Immanuel, der sich erlaubt hat die Rede von den regulativen Ideen in den renovierungsbedürftigen Raum zu werfen. Damit mich auch der Herr Lehrer, der Herr Professor und seine galante Gattin mich verstehen, wiederhole ich mich gern: Demokratie ist ihrem eigenen (sic) Verständnis gemäß ein beständiger Prozess. Die Verdinglichung derselben in feststehende Produkte (Wahlrecht, Gewaltenteilung, bürgerliche Rechte wie Meinungsfreiheit etc.) ist gleichbedeutend mit ihrer gänzlichen Abwesenheit. Demokratie ist beständige Weltverbesserei, und zwar aller Lebensbereiche. Soweit ich informiert bin ist ein gewisser Herr Professor Habermas etwa mit der Bedeutung demokratischer Kommunikation zu Gange. Wir sehen also, dass der unbedingte Wille zur widerstandslos-unterwürfigen Positivität des herrschenden Vorhandenen nicht nur im privaten negative Folgen nach sich zieht. Wer an Selbstbestimmung und Freiheit sein Herz verlieren möchte muss der Dame nicht nur die Rosen zu Füssen legen, sondern hier und da auch einmal bereit sein, sich in die Nesseln zu setzen. Gut gelaunt und kein Wässerchen trübend kommt er daher, will niemanden was Böses und ist reaktionär bis in das Mark seiner Knochen.
  341. Wer Lust verspürt, einmal näher darüber nachzudenken, wie die Welt zu verbessern wäre ohne sich sofort ans Köpfe rollen lassen zu wagen, dem kann ich mit einem entsprechendem Hinweis dienen. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Transzendentale Methodenlehre. Im Vergleich mit der Elementarlehre wird auf etwa einhundert Seiten in einfachen Worten auch noch dem hohlsten Kopf ein Licht aufgehen. Vom alten Lampe getragen. Das Licht. Hoffentlich.
  342. </p>
  343. <h3>6)Abschließend wird in den Ofen geschossen, oder </h3>
  344. <b>Schwamm drüber, Kamerad \inn\ en </b>
  345. <p>
  346. Auch ich, liebe Leute, misstraue den Systematikern. Gleich einem Partisanen habe ich Sprengsätze in den mir erreichbaren Winkeln der herrschenden geistigen Ordnung angebracht. Ob es mir gelungen ist den einen oder die andere auf die abwegigen Schleichwege zu Aussichtspunkten locken, welche einen unsagbar neuen Blick auf die Ordnung der Dinge ermöglichen, liegt im für mich Dunkeln. In die klaffenden Lücken des allumfassenden Positivismus habe ich Fragen geworfen, die sich nicht mit letztgültiger Gewissheit beantworten lassen. Wer mit rasiertem Achselzucken meine Fragen in den deodorierten Wind der besten aller Welten schießen möchte, dem werde ich nicht in die Arme fallen. Für die einsamen Störenfriede und unglücklichen Eckensteher erlaube ich mir noch einen Griff in die stinkende Scheiße, die der Mensch heute Leben nennt. Bekannter weise lässt sich dem Glück so auf die Sprünge helfen. <br/>
  347. Zunächst habe ich die Ursprünge des kritischen Denkens beim Namen genannt: Die deutsche Philosophie von 1770-1830, Marx und Engels, Schopenhauer und Nietzsche sowie Freud. Ohne inhaltlich näher auf die besagten Herren einzugehen wollte ich dem Leser den Eindruck vermitteln, dass das Denken einer Zeit nicht beliebig vom Himmel gefallen ist. Was den Weg zur Sprache findet hat seinen Grund im dialektischen Widerspiel der zwingenden Fragen und materialen Bedingungen, die der Weltgeist auf die Tagesordnung gesetzt hat. Mit anderen Worten: Es kann eben nicht jeder das denken, was ihm gerade in den Sinn kommt. Wie aus der Pistole geschossen mit buddhistischen Heilslehren daher zu kommen ist in einem durch und durch rationalem Zeitalter schlichter Unsinn. Um die Schlagkraft gewisser Argumente dem Leser noch vor Augen zu führen, habe ich die Neuerung des Denkens im neunzehnten Jahrhundert in einen kurzen geschichtlichen Rahmen gepackt. Ich habe mehr als genug Literatur angegeben, in welcher der Sachverhalt klar und deutlich zur Sprache gebracht wird. Überhaupt: In welch verkümmerter Welt muss „Man“ eigentlich leben, um den Zusammenbruch von Metaphysik und geistig sittlicher Welt, also das Fin du Siecle, nicht vor Augen zu haben? Ich muss mich manchmal doch sehr wundern.
  348. </p>
  349. <p>
  350. Den Positivismus unserer Tage habe ich als pragmatischen Realismus und naiven Optimismus beim Namen genannt. Die Auswirkungen der Ausrichtung von Denken, Handeln und Fühlen habe ich in zwei Richtungen versucht zu verfolgen. Wir haben die Spur des Einzelnen aufgenommen und uns von der Übermacht der Gesellschaft in die Flucht schlagen lassen. Zum Einzelnen habe ich mich in dreifacher Hinsicht geäußert: Sein Verhältnis zu sich selber, zu seinen Mitmenschen und zur gegenständlichen Welt habe ich versucht zu traktieren. Zur gesellschaftlichen Entwicklung habe ich mich ebenso in dreifacher Hinsicht geäußert: Industrialisierung, Institutionalisierung und Demokratisierung mussten mir die Räuberleiter halten, um über die Mauer zu schielen, welche die Vorurteile unserer Zeit in den Blick gestellt haben. ( Immer und wieder die drei. Hegel, in deiner dreifaltigen Herrlichkeit, ich danke dir).
  351. </p>
  352. <p>
  353. Meine Einteilung ist ein möglicher Vorschlag, mit dem nicht das letzte und nicht das erste Wort gesprochen ist. Mensch, Welt und Gesellschaft lassen sich auch unter anderen Namen in geistige Geiselhaft nehmen. Es wäre schön, wenn klar wäre, dass in meinem Sagen einiges auf der Strecke geblieben ist:
  354. </p>
  355. <b>Verzweifeln. Sprechen. Versagen. </b>
  356. <br/> <br/>
  357. <br/>
  358. <a href="../../index.html">main-page</a>
  359. <a href="../writings.html">writings</a>
  360. </div>
  361. </body>
  362. </html>